Schlappe
Bittere Europawahl-Schlappe: Habecks Grüne auf verzweifelter Suche nach dem „Schlüsselwort“
- VonSören Kemnadeschließen
Die Grünen verlieren bei der Europawahl deutlich an Stimmen. Parteimitglieder suchen nun nach Ursachen und Lösungen für den Stimmen-Absturz.
Berlin – Um die 11,9 Prozent und zwölf Sitze im Europaparlament haben die Grünen noch. Mehr als acht Prozentpunkte und neun Sitze hat die Partei am Sonntag (9. Juni) bei der Europawahl eingebüßt. 2019 erreichten sie noch 20,5 Prozent der Stimmen. Es ist ein herber Tiefschlag.
Man wollte insbesondere bei den jungen Wählern ab 16 Jahren punkten – denn eigentlich hatten sich die Grünen als Gegenpol zur AfD verstanden. Doch der Plan wollte nicht recht aufgehen. „Dieses Wahlergebnis ist sicher kein zufriedenstellendes”, sagte Parteichef Omid Nouripour zu der Schlappe. „Es wäre falsch dieses Ergebnis schönreden zu wollen“, sagte Spitzenkandidatin Terry Reintke dazu.
Niederlage bei Europawahl: Grüne Spitzenpolitiker sehen unterschiedliche Grüne
Die Vizepräsidentin des Bundestags und Grünen-Mitglied Katrin Göring-Eckardt sieht den Ausgang der Wahl als Aufforderung an die Ampelkoalition sich stärker sozialen Fragen zu widmen. Das Regierungsbündnis habe laut der Grünenpolitikerin es nicht geschafft, in Zeiten großer Umbrüche für Gerechtigkeit zu sorgen. Unter den Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel würden vor allem jene leiden, „die nicht das dicke Portemonnaie haben“. Wie Göring-Eckhart am Montag (10. Juni) im Deutschlandfunk sagte. Es gehe aber vor allem darum, wie man die Anpassung an veränderte Klima-Bedingungen gemeinsam hinbekomme. Ob eine Partei bei den Maßnahmen gut aussehe, sei zweitrangig.
Bei Fragen zur Sicherheit und Migration würden die Grünen nicht als Partei mit guten Antworten wahrgenommen. Zu dem Schluss kam Cem Özdemir im ZDF-Morgenmagazin. „Das Schlüsselwort ist Vertrauen. Die Grünen haben an Vertrauen eingebüßt“, sagte der Bundesagrarminister. Auch er betonte, dass seine Partei das Ergebnis nicht schönreden darf. Man erhebe laut Özdemir den Anspruch, aus der Mitte der Gesellschaft zu kommen. Das funktioniere aber nur, wenn man den „normalen Menschen“ in den Mittelpunkt stelle.
Schlappe bei Europawahl: Personalwechsel bei den Grünen nicht vorgesehen
Grund für drastische Schritte gegen das Spitzenpersonal sieht Grünenmitglied Anton Hofreiter nach der Wahl vorerst nicht. „Ich glaube, die beiden sind ganz klar die richtigen“, sagte er ntv über die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour. „Ich glaube nicht, dass sie das zentrale Problem sind. Es ist entscheidend, dass die Regierung besser performt“, betonte der Vorsitzende des Bundestags-Europaausschusses.
Hofreiter erkennt drei Hauptgründe für das schlechte Ergebnis seiner Partei bei der Europawahl: Zum einen die Fehler im Heizungsgesetz und der andauernde Streit mit SPD und FDP. Zum anderen sei es der Partei nicht gelungen, Menschen davon zu überzeugen, dass Veränderungen wichtig für eine andauernde Stabilität in der EU und Deutschland sind.
Frage nach dem Kanzlerkandidaten stellt sich momentan für die Grünen nicht
Innerparteilich dürfte es jetzt um die Frage gehen, wer spätestens im Herbst 2025 als Kanzlerkandidat antritt. Vize-Kanzler Robert Habeck oder Annalena Baerbock. „Klar ist, dass wir eine Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten nur aufstellen, wenn eine realistische Chance auf einen Wahlsieg besteht“, sagte Hofreiter der Berliner Morgenpost dazu. Man müsse jetzt genau überlegen, ob das jetzt der Fall ist.
Besonders ärgerlich für die Grünen ist der Vertrauensverlust der Wähler in ihre Umweltpolitik. Seit 2019 denken immer weniger Menschen, dass die Grünen die beste Arbeit in diesem Feld machen. 2019 waren es 56 Prozent der Wähler – jetzt nur noch 33 Prozent. 24 Prozent trauen es laut Tagesschau keiner Partei mehr zu. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass umweltbewusste Menschen enttäuscht sind von der Leistung der Partei. Ähnlich wie die SPD verloren auch die Grünen viele Stimmen ins Lager der Nichtwähler.
Doch trotz des schlechten Wahlergebnisses hoffen die Freunde ökologischer Politik auf Einfluss: Ursula von der Leyen ist als Spitzenkandidatin des konservativ-christlichen Lagers auf die Stimmen der Grünen angewiesen. Wenn sie erneut zur Kommissionspräsidentin gewählt werden will. Von der Leyen hätte auch die Möglichkeit mit den Stimmen der Rechten gewählt zu werden. Doch das dürfte Bundeskanzler Olaf Scholz übel aufstoßen. Der Sozialdemokrat hatte bereits vor der Wahl deutlich gemacht, von der Leyen in diesem Fall nicht unterstützen zu wollen.
Rubriklistenbild: © Christoph Soeder/dpa
