Im Interview von Carlson

Gefangenenaustausch zwischen Moskau und Berlin? Putins Andeutungen bringen Scholz in die Bredouille

  • Marcus Giebel
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Wladimir Putin spricht mit Tucker Carlson über den Ukraine-Krieg und einen inhaftierten US-Reporter. Beobachter denken dabei an den Tiergartenmord.

Moskau – Das viel diskutierte Interview von Tucker Carlson gab Wladimir Putin auch eine willkommene Bühne. Und der Kreml-Chef wusste diese für sich zu nutzen. So erweckte er im Gespräch mit dem ehemaligen Fox-Journalisten, der für Verschwörungstheorien und Falschmeldungen bekannt ist, einmal mehr den Eindruck, das auf der ganzen Welt herbeigesehnte Ende des Ukraine-Kriegs würde nur vom Westen verhindert werden.

Putin im Interview von Carlson: Ukraine-Krieg und inhaftierter US-Reporter als wichtige Themen

Zudem versuchte Putin offenbar, die wichtigsten Unterstützer des auf seinen Befehl hin überfallenen Nachbarlandes zu entzweien. Denn von Carlson auf den in russischer Untersuchungshaft sitzenden US-Journalisten Evan Gershkovich angesprochen, zeigte er sich „gesprächsbereit“. Zugleich betonte der 71-Jährige, dass wegen des seit vergangenem März Inhaftierten ein ständiger Dialog zwischen den zuständigen Stellen Russlands und der USA bestehe.

Dabei werde auch über einen möglichen Gefangenenaustausch gesprochen. Solche Deals habe es schon in der Vergangenheit gegeben, „und wahrscheinlich wird auch dies von Erfolg gekrönt sein“.  Wichtig sei aber: „Wir müssen uns einigen.“ Weitere Aussagen Putins wurden von Beobachtern so interpretiert, dass er im Gegenzug die Herausgabe von Wadim Krassikow durch Deutschland erwarten könnte.

Nutzt die Chance, um seine Botschaften anzubringen: Für Wladimir Putin (r.) kam das Interview von Tucker Carlson wie gerufen.

Putin und der Tiergartenmord: Will Kreml-Chef im Gegenzug verurteilten Krassikow zurückhaben?

Eine solche Forderung würde die Bundesregierung in die Bredouille bringen. Der 58-jährige russische Geheimdienstmitarbeiter war wegen des sogenannten Tiergartenmords am 15. Dezember 2021 zu lebenslanger Haft verurteilt worden, zudem hatte das Berliner Kammergericht die besondere Schwere der Schuld festgestellt, eine Freilassung nach 15 Jahren ist also nicht möglich.

Krassikow, der 2019 unter dem Decknamen Wadim Sokolow nach Berlin gereist war, hatte nach Überzeugung des Gerichts am 23. August 2019 den georgischen Offizier Selimchan Changoschwili mit zwei Schüssen in Kopf und Rücken niedergestreckt. Es wird davon ausgegangen, dass er dazu vom russischen Staat ausgesandt wurde, also von Putin. Jedenfalls trug Russland auffallend wenig zur Aufklärung des Falles bei.

Putin trifft US-Journalist Carlson: „Macht keinen Sinn, Gershkovich im Gefängnis zu halten“

Im Gespräch mit Carlson machte der mächtige Mann aus Moskau nun scheinbar Hoffnung auf eine Freilassung des US-Journalisten mit russischen Wurzeln. „Ich schließe nicht aus, dass Herr Gershkovich in sein Heimatland zurückkehren wird“, öffnete Putin die Tür und ließ sich sogar zur Feststellung hinreißen: „Es macht keinen Sinn, ihn in Russland im Gefängnis zu halten.“ Dennoch tut Russland eben genau das.

Obwohl US-Präsident Joe Biden und der kanadische Premierminister Justin Trudeau bereits kurz nach der Verhaftung die Freilassung gefordert hatten. Laut dem Weißen Haus hat Moskau im Dezember ein Angebot zur Freilassung ausgeschlagen.

Zuletzt wurde Gershkovichs U-Haft bis zum 30. März verlängert, wie die russische Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf die Presseabteilung des zuständigen Gerichts berichtete. Dann hätte der 32-Jährige ein Jahr hinter Gittern verbracht.

Seit mehr als zehn Monaten Gefangener Russlands: Der US-Journalist Evan Gershkovich befindet sich nach wie vor in U-Haft.

Putin mach Hoffnung auf Freilassung von US-Reporter: Ein Jahr U-Haft wegen Vorwurfs der Spionage

Der Vorwurf gegen den aus New York City stammenden Reporter des Wall Street Journal lautet: Spionage. Er soll Informationen über die russische Rüstungsindustrie gesammelt haben. Gershkovich wie sein Arbeitgeber weisen diese Anschuldigungen vehement zurück.

Als Reaktion auf die Putin-Aussagen teilte das Wall Street Journal mit: „Wir fühlen uns von dem Wunsch Russlands nach einem Deal ermutigt, der Evan nach Hause bringt. Und wir hoffen, dass dies zu seiner schnellen Freilassung und seiner Rückkehr zu seiner Familie und unserer Nachrichtenredaktion führt.“ Auch in dem Artikel werden die Sätze des russischen Herrschers aber so interpretiert, dass im Gegenzug wohl Krassikow freikommen müsste.

Übergibt Deutschland Krassikow nach Tiergartenmord an Russland? Scholz lässt Raum für Spekulationen

Die USA gingen bereits vor dem Putin-Interview davon aus, dass der Reporter als Verhandlungsmasse zur Freipressung russischer Spione im Ausland benutzt werden soll. Ist am Ende also die Bundesregierung Gershkovichs größte Hoffnung? Bundeskanzler Olaf Scholz hatte gerade erst Biden in Washington besucht, dabei schienen weitere Hilfen im Zuge des Ukraine-Kriegs das beherrschende Thema gewesen zu sein.

Auch mit den mutmaßlichen Gedankenspielen um einen Gefangenenaustausch zwischen einem verhafteten Journalisten und einem verurteilten Mörder musste sich der SPD-Politiker auf Nachfrage aber auseinandersetzen. Seine Antwort: „Ich glaube, dass solche delikaten Fragen sehr vertraulich an vielen Stellen erörtert werden müssen.“ Ein Satz, der jedenfalls Raum für Spekulationen lässt.

Deutlicher wurde der Kopf der Ampel-Koalition bei der allgemeinen Bewertung von Putins rund zweistündigem Auftritt. Für Scholz führte Carlson ein Interview, „das ehrlicherweise nur verhöhnt, was an realen Taten von Russland in der Ukraine gemacht worden ist und eine völlig absurde Geschichte erzählt über die Ursache für diesen Krieg“.

Werden wegen Wladimir Putin mit einem neuen Thema konfrontiert: Olaf Scholz (l.) besuchte Joe Biden und musste auch über den Tiergartenmord sprechen.

Gefangenenaustausch zwischen Moskau und Berlin? Putin will offenbar Krassikow freihaben

Etwas Licht ins Dunkel hätte Putins Sprachrohr bringen können. Doch auch Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wollte nicht damit rausrücken, ob sein Chef über Krassikow sprach, ohne diesen namentlich zu nennen: „Ich werde diese Frage ohne Antwort lassen.“

So bleibt also jedem selbst überlassen, wie Putins Einlassungen zu interpretieren sind. Der russische Präsident hatte lediglich betont, dass es jemanden gebe, der in einem mit den USA verbündeten Land eine Strafe absitze. „Diese Person hat aus patriotischen Gefühlen heraus einen Banditen in einer europäischen Hauptstadt beseitigt“, lobte er. Und: „Ob er es aus eigenem Antrieb getan hat oder nicht, ist eine andere Frage.“

Der von Krassikow erschossene Changoschwili hatte in verschiedenen militärischen Konflikten gegen Russland gekämpft, georgische und ukrainische Antiterrorbehörden sowie US-Geheimdienste unterstützt. Putin unterstellte ihm eine Beteiligung an den Anschlägen auf die Metro Moskau und nannte ihn einen „Verbrecher und Mörder“.

Putin und verurteilter Mörder Krassikow: Kreml-Chef bringt Washington und Berlin ins Grübeln

Eben das, was aus deutscher Sicht Krassikow darstellt. Kaum vorstellbar, dass die Bundesregierung einknickt und einem Gefangenenaustausch unter diesen Bedingungen zustimmt. Zumindest aber scheint Putin es gelungen zu sein, Washington und Berlin ins Grübeln zu bringen.

Immerhin wäre es nicht das erste Mal, dass Putin einen Versuch unternimmt, Krassikow freizubekommen. So soll Moskau im Gegenzug schon einmal angeboten haben, prominente Kreml-Gegner zu überstellen. (mg)

Rubriklistenbild: © IMAGO / ITAR-TASS

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