Krieg gegen Hamas

Was ist nach dem Israel-Krieg? Vier Szenarien für Frieden in Nahost

  • VonKilian Beck
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Israel braucht einen Plan, Gaza nach dem Krieg zu ordnen. Israelische Experten und Politiker sind sich einig: Die Möglichkeiten für einen Frieden hängen am Schicksal der israelischen Geiseln, der Zivilbevölkerung und dem Handeln der arabischen Staaten.

Tel Aviv – Die Hamas soll 210 Menschen in Gaza als Geiseln halten. Das israelische Militär (IDF) hat als Reaktion auf die Massaker der islamistischen Hamas Hunderttausende Reservisten und Reservistinnen mobilisiert. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat die „Vernichtung“ der Hamas als Ziel einer erwarteten Bodenoffensive ausgegeben. Im Gaza-Streifen fliehen Hunderttausende vor Angriffen der IDF. Der israelische Sicherheitsexperte Michael Milshtein, Leiter des „Forums für Palästinensische Studien“ an der Universität Tel Aviv, warnt schon jetzt vor übereilten Schritten: „Wir müssen jetzt darüber nachdenken, was unsere Strategie für Gaza ist“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).

Krieg und Frieden in Gaza: Über allem schwebt die Befreiung der Geiseln

Militärische und politische Fragen vermischen sich: Über allem schwebt Rettung der Geiseln. Militärisch geht es Israel laut dem ehemaligen Verteidigungsminister Ehud Barak darum, den Gazastreifen „einzunehmen und die Wurzeln der Hamas auszureißen“. Politisch laufen gerade internationale Verhandlungen über die Freilassung der Geiseln. Langfristig stelle sich, so Barak im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau, die Frage der Sicherheit der israelischen Bevölkerung und damit untrennbar verwoben, wer nach dem Krieg im Gazastreifen herrschen soll.

Der frühere Premierminister Ehud Barak.

Seit der damalige israelische Premier Ariel Sharon 2005 den Abzug Israels aus dem Gazastreifen durchsetzte und die Hamas 2007 im Gazastreifen gegen die Palästinensische Autonomiebehörde putschte, gibt es laut Milshtein keinen „Ansprechpartner“ mehr. Das betreffe langfristige Friedensverhandlungen genauso, wie Verwaltung des Gebiets. Zuvor müsse die Hamas aber entmachtet werden.

Ex-Elitesoldat zeichnet düsteres Bild von Geiselrettung

Für die Rettung der Geiseln zeichnet Ex-Elitesoldat Doron Avital ein düsteres Szenario: „Wenn man den Großteil retten kann“, sagte er dem US-Magazin Newsweek, „ist das ein Erfolg“. Ähnlich äußerte sich der langjährige ARD-Chefkorrespondent in Tel Aviv Richard C. Schneider im Spiegel. Avital war in den 90er Jahren Kommandant der israelischen Eliteeinheit Sayeret Matkal.

Angesichts der Zerstörung herrscht bei der Zivilbevölkerung in Gaza Verzweiflung.

Avital geht davon aus, dass ein Versuch, die Geiseln mit Spezialkräften zu befreien, während der erwarteten Bodenoffensive gegen die Hamas im Gaza-Streifen stattfinden müsste. Außerdem seien noch nie in der Geschichte Israels so viel Geiseln entführt worden. Wohl auch deshalb wird gerade noch über die Freilassung der Geiseln verhandelt. Die New York Times schrieb am Sonntag, 22. Oktober, nach der Freilassung zwei US-amerikanischer Geiseln: Das Golfemirat Katar, ein mutmaßlicher Hamas-Finanzier, verhandele, gemeinsam mit den USA, Ägypten und Frankreich, mit den Hamas-Islamisten über die Freilassung weiterer Geiseln.

Ehemaliger Verteidigungsminister: Hamas lässt vielleicht Ausländer frei

Ehud Barak, äußerte im FR-Gespräch leise Hoffnung, dass die Hamas zumindest die nicht-israelischen Geiseln freilassen würde, um den „Stempel der IS-ähnlichen Organisation“ loszuwerden. Spätestens danach könnte „das Ganze sehr grausam und unvorhersehbar“ werden. Und vom Ausmaß der Gewalt hänge ab, welches Szenario nach dem Krieg in Israel eintrete, so Milshtein.

In Israel wird täglich für die Freilassung der Geiseln in Gaza demonstriert.

Israel will keine erneute Besatzung Gazas

Gegenüber der FAZ hält Milshtein eine Besatzung des Gazastreifens durch die IDF für unwahrscheinlich. Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant habe diese auch bereits ausgeschlossen, für die USA sei sie ein „No-Go“. Einen sofortigen Rückzug, nach einem harten Schlag gegen die Islamisten in Gaza, sieht er ebenfalls kritisch. Ein „Machtvakuum“ könne entstehen, und Gaza zu einer „Variante von Syrien oder Somalia werden“, wo sich noch mehr Terrorgruppen festsetzen könnten.

Bilder zeigen, wie der Krieg in Israel das Land verändert

Massive Raketenangriffe aus Gazastreifen auf Israel
Am 7. Oktober 2023 feuern militante Palästinenser aus dem Gazastreifen Raketen auf Israel ab. Die im Gazastreifen herrschende islamistische Hamas, die von Israel, der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird, hatte den Beginn einer „Militäroperation“ gegen Israel verkündet. © Hatem Moussa/ dpa
Massive Raketenangriffe aus Gazastreifen auf Israel
Nach einem Raketenangriff aus dem Gazastreifen ist Rauch aus einem Wohnhaus zu sehen.  © Ilia Yefimovich/ dpa
Israelischer Soldat mit Hund im Israel Krieg
Ein israelischer Soldat geht mit seinem Hund zwischen Autos in Deckung.  © Ohad Zwigenberg/ dpa
Israelische Polizisten evakuieren Frau und Kind im Israel Krieg
Israelische Polizisten evakuieren eine Frau und ein Kind von einem Ort, der von einer aus dem Gazastreifen abgefeuerten Rakete getroffen wurde. © Tsafrir Abayov/ dpa
Militante Palästinenser fahren im Israel Krieg mit einem Pickup, auf dem womöglich eine entführte deutsch-israelische Frau zu sehen ist.
Militante Palästinenser fahren mit einem Pickup, auf dem möglicherweise eine deutsch-israelische Frau zu sehen ist, in den Gazastreifen zurück. Die islamistische Hamas hatte mitgeteilt, ihre Mitglieder hätten einige Israelis in den Gazastreifen entführt. © Ali Mahmud/ dpa
Massive Raketenangriffe aus Gazastreifen auf Israel
Angehörige der Feuerwehr versuchen, nach einem Raketenangriff aus dem Gazastreifen das Feuer auf Autos zu löschen. © Ilia Yefimovich/ dpa
Menschen suchen in Trümmern nach Überlebenden nach massive Raketenangriffen aus Gazastreifen auf Israel.
Menschen suchen zwischen den Trümmern eines bei einem israelischen Luftangriff zerstörten Hauses nach Überlebenden.  © Omar Ashtawy/ dpa
Verlassene Stätte des Festivals Supernova nach dem Angriff der Hamas
Bei dem Rave-Musikfestivals Supernova im israelischen Kibbuz Re’im sterben rund 270 Besucher:innen. So sieht die verlassene Stätte nach dem Angriff aus.  © JACK GUEZ / AFP
Feiernde Palästinenser nach Angriff der Hamas auf Israel
Palästinenserinnen und Palästinenser feiern in Nablus nach der großen Militäroperation, die die Al-Qassam-Brigaden, der militärische Flügel der Hamas, gegen Israel gestartet haben.  © Ayman Nobani/ dpa
Hamas-Großangriff auf Israel - Gaza-Stadt
Das israelische Militär entgegnete mit dem Beschuss von Zielen der Hamas im Gazastreifen. Nach einem Angriff steigen bei einem Hochhaus in Gaza Rauch und Flammen auf. © Bashar Taleb/ dpa
Mann weint in Gaza bei Israel Krieg
Ein Mann umarmt einen Familienangehörigen im palästinensischen Gebiet und weint.  © Saher Alghorra/ dpa
Israelischer Soldat im Israel Krieg steht neben Frau
Am 8. Oktober beziehen israelische Soldaten Stellung in der Nähe einer Polizeistation, die am Tag zuvor von Hamas-Kämpfern überrannt wurde. Israelische Einsatzkräfte haben dort nach einem Medienbericht bei Gefechten in der an den Gazastreifen grenzenden Stadt Sderot mehrere mutmaßliche Hamas-Angehörige getötet. © Ilan Assayag/ dpa
Nach Hamas Großangriff - Sa'ad
Israelische Streitkräfte patrouillieren in Gebieten entlang der Grenze zwischen Israel und Gaza, während die Kämpfe zwischen israelischen Truppen und islamistischen Hamas-Kämpfern weitergehen. © Ilia Yefimovich/ dpa
Palästinensisches Kind in einer Schule, die im Israel Krieg als Schutz dient
Ein palästinensisches Kind steht auf dem Balkon einer Schule, die von den Vereinten Nationen betrieben wird und während des Konfliktes als Schutzort dient.  © Mohammed Talatene/ dpa

Drittens wäre es eine Option, die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), die das Westjordanland kontrolliert, wieder in Gaza „zu installieren“. Ehud Barak erzählt der FR, er hätte genau das bereits einmal versucht: Vor 15 Jahren, nachdem die Hamas in Gaza gegen die PA geputscht hatte. Damals versuchte er den Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas zu überzeugen, die Macht in Gaza wieder zu übernehmen.

Der antwortete, so Barak, „ich kann es mir nicht leisten, über Israels Vermittlung die Macht im Gazastreifen zu bekommen“. Zumal Mahmud Abbas sich seit Jahren weigert Wahlen abzuhalten, sein Einfluss schwindet und er als korrupt gilt.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas könnte ein Partner für einen Frieden in Gaza sein.

„Multiarabisches Bündnis“ sollte Macht in Gaza am Ende des Krieges übernehmen

Bleibt also Option vier, die Milshtein und Barak bevorzugen: Nach dem Ende des Krieges solle ein „multiarabisches Bündnis“ die Macht im Gazastreifen übernehmen. Relevante Mächte in der Region für einen solchen Pakt wären Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien. Stellt ein solches Bündnis die Ordnung wieder her, so solle die Macht an eine zivile palästinensische Verwaltung übergeben werden. Milshtein sieht „Clanführer, lokale Organisationen und vielleicht auch die PA“ in einer solchen Struktur.

Vom Verlauf des Krieges – besonders dem Leid der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten – hängt nun ab, wie viel Verhandlungsspielraum beide Seiten für eine tragfähige Nachkriegsordnung haben werden. Ehud Barak sieht, gegenüber der FR, in den vergangenen Jahren schwere Fehler bei der eigenen Regierung: Netanjahu war zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Und er nimmt die arabischen Staaten mit in die Verantwortung für die Menschen in Gaza.

Rubriklistenbild: © MOHAMMED ABED/AFP

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