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Wie das Ausland auf Habecks Heizungsgesetz blickt: „Politik kommt in die Häuser der Menschen“
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Das Heizungsgesetz findet mittlerweile sogar in den USA Beachtung. Profiteur sei bislang die extreme Rechte, schreibt „Foreign Policy“.
- Am Freitag soll der Bundestag das Heizungsgesetz verabschieden. Das sorgt auch im Ausland für Gesprächsstoff.
- Die deutsch-amerikanische Journalistin Allison Meakem präsentiert in diesem Artikel das Thema für ein internationales Publikum - und liefert damit auch einen Einblick in einen externe Perspektive auf den Heizungsstreit.
- Dieser Artikel liegt erstmals in deutscher Sprache vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn am 1. September 2023 das Magazin Foreign Policy.
Washington, D.C. - Während ein Großteil der Welt einen Sommer mit rekordverdächtigen Temperaturen erlebte, debattiert Deutschland über eine ganz andere Art von Hitze: die Zukunft der Heizkörper. Ein umstrittenes Gesetz, für das sich die Regierung einsetzt, würde ab dem nächsten Jahr fast alle neuen Öl- und Gasheizungen verbieten. Haushalte und Unternehmen müssten dann Geräte kaufen, die strenge Umweltstandards erfüllen, wie etwa Wärmepumpen.
Das Gebäudeenergiegesetz, umgangssprachlich nur als „Heizungsgesetz“ bezeichnet, hat einen weiteren Riss in der zerbrechlichen Drei-Parteien-Koalition unter Bundeskanzler Olaf Scholz geöffnet. Während Scholz die Maßnahme unterstützt, haben einige seiner wichtigsten Regierungspartner die ursprüngliche Verabschiedung des Gesetzes blockiert. In der Zwischenzeit haben die konservative Opposition und die extreme Rechte die Uneinigkeit ausgenutzt, um ihre Umfragewerte zu steigern.
All das bedeutet, dass eine Reform voller wissenschaftlicher Fachausdrücke und Formalitäten nun zum jüngsten Blitzableiter in Deutschlands anhaltendem Kulturkampf geworden ist. Das von Umweltschützern hochgelobte, von den meisten anderen Wählern aber verachtete Heizungsgesetz zeigt, wie die politische Durchführbarkeit ernsthafter Klimaschutzmaßnahmen durch den Aufschwung populistischer Unzufriedenheit eingeschränkt werden kann. Eine Reform, die Experten als zentral für das Erreichen der deutschen Klimaziele ansehen, könnte auch die extreme Rechte an die Macht katapultieren.
Deutschlands Heizungsstreit aus US-Sicht: „Politik kommt jetzt zu den Häusern der Menschen“
„Ein Grund, warum diese Politik so umstritten ist, ist, dass sie Teil dieser größeren Umstellung ist, bei der sich die Klimapolitik von weit entfernten Kraftwerken zu den Häusern der Menschen verlagert“, sagte Noah Gordon, der stellvertretende Ko-Direktor des Programms für Nachhaltigkeit, Klima und Geopolitik bei der Carnegie Endowment for International Peace. „Für unser tägliches Leben macht es keinen großen Unterschied, woher der Strom aus der Steckdose kommt. Aber jetzt reden wir über Leute, die in Gebäude gehen, um die Isolierung zu verbessern und Heizkessel herauszureißen. Man gerät in diese ganze lokale Politik.“
Das Gesetz zielt darauf ab, Öl- und Gasheizungen in Gebäuden in ganz Deutschland auslaufen zu lassen. Es ist die Idee von Vizekanzler Robert Habeck, einem Mitglied der Grünen, der auch als Minister für Wirtschaft und Klimaschutz fungiert. Wenn Habecks Gesetz verabschiedet wird, müssten neue Heizungsanlagen in Deutschland ab dem 1. Januar 2024 zu mindestens 65 Prozent aus grünen Energiequellen gespeist werden, und die Kommunen müssten bis spätestens 2028 umweltfreundliche Heizungskonzepte erstellen. Das Gesetz lehnt sich an bestehende Maßnahmen an, die in vielen skandinavischen Ländern üblich sind.
Während Deutschland seine Emissionen aus dem Stromsektor in den letzten zehn Jahren drastisch reduziert hat, sind die Fortschritte im Gebäudesektor gering, der nach Angaben der Deutschen Energie-Agentur nach wie vor für rund 40 Prozent des Kohlenstoffausstoßes des Landes verantwortlich ist. Das Wärmegesetz soll diese Lücke schließen und Berlin auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2045 halten.
Streit um die Heizungen hat bislang wenig Effekt - doch die AfD profitiert
Doch bisher hat die noch ausstehende Reform nur wenig bewirkt, außer dass die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) auf dem Weg zu großen Wahlerfolgen ist. Seit März sind die Umfragewerte der Partei stetig gestiegen und erreichten am 31. August einen Höchststand von 22 Prozent. Die AfD hat nun in bundesweiten Umfragen jede der drei Parteien, die Scholz‘ bunte Koalition bilden, überholt - und liegt in mindestens einem Bundesland, in dem nächstes Jahr Wahlen anstehen, konstant in Führung.
Analysten und Meinungsforscher sehen die politische Auseinandersetzung um das Heizungsgesetz als einen der Hauptgründe für diesen Trend. Für Andrea Römmele, Dekanin für Weiterbildung an der Hertie School of Governance in Berlin, ist die geplante Maßnahme nur der jüngste Beweis für die Dysfunktion der Bundesregierung - ein Beleg dafür, dass die Scholz-Koalition „nicht zueinander steht“.
Als Scholz vor zwei Jahren mit Unterstützung seiner eigenen Sozialdemokratischen Partei (SPD), den Grünen und der wirtschaftsfreundlichen Freien Demokratischen Partei (FDP) eine Regierung zusammenschusterte - die erste Koalition dieser Art auf nationaler Ebene -, stimmten die drei Fraktionen den allgemeinen Konturen des Heizungsgesetzes zu. Doch als Habeck im Frühjahr seinen ersten Entwurf ins Kabinett einbrachte, wurde er sofort zum politischen Sprengstoff.
Klimawandel und das Heizungsgesetz: „Staat muss sich stärker einmischen“
Die Grünen stellten sich enthusiastisch hinter Habeck. Die SPD war gespalten: Scholz befürwortete den Vorschlag, während andere in seiner Partei dessen mögliche Auswirkungen auf die Verbraucher in Frage stellten. Und die FDP widersprach lautstark, da sie den Vorschlag als zu kostspielig bezeichnete und es vorzog, den Markt die technologische Innovation diktieren zu lassen. Die Grünen und die FDP sind sich grundsätzlich uneinig über die Rolle des Staates bei der Bewältigung fast aller wichtigen Probleme, mit denen Deutschland heute konfrontiert ist, und ihr ständiges Gezänk hat viele Versuche Gesetzes-Pläne der Koalition zum Scheitern gebracht. Nirgendwo wird dies deutlicher - und existenzieller - als in der Klimapolitik.
„Wenn wir den Klimawandel wirklich bekämpfen wollen, muss sich der Staat stärker in die bisher privaten Angelegenheiten einmischen, weil wir unser Verhalten ändern müssen“, so Römmele.
Aber für viele Wähler ist ein stärkerer Staat keine verlockende - oder vermarktbare - Perspektive. „Die Grünen haben ein gewisses Problem in der deutschen Politik“, sagte Gordon. „Ihnen wird vorgeworfen, die Partei der Verbote zu sein.“
AfD machte Habeck zum Staatsfeind Nummer eins
Der rechte Flügel in Deutschland hat dieses Thema auf bemerkenswerte Weise aufgegriffen. Die AfD hat Habeck zum Staatsfeind Nr. 1 gemacht und versprochen, den „Heizungshammer„ des Vizekanzlers zu stoppen. Im Bundestag forderte der Co-Vorsitzende der Partei, „Habeck zu ersetzen, nicht die Heizungen“, was fälschlicherweise impliziert, dass die Regierung Scholz beabsichtigt, bestehende Gasheizungen zu verbieten. Einige Mitglieder der Mitte-Rechts-Christdemokratischen Union (CDU) haben ähnlich hetzerische Erklärungen abgegeben. Ein CDU-Politiker behauptete, Habeck wolle eine „Energie-Stasi“ mobilisieren, eine Anspielung auf die berüchtigte ostdeutsche Geheimpolizei.
Solche Äußerungen wurden von rechten Medien verbreitet, die darauf aus waren, Fehlinformationen über die linksgerichtete Regierung von Scholz zu verbreiten. „Ein Teil der Boulevardpresse sprach davon, dass Habeck Ihre Gasheizung holen will“, sagte Gordon, obwohl „das nie Teil des Plans war“. Der Stasi-Kommentar wurde sofort in dicken, fetten Lettern auf der Titelseite der Bild-Zeitung, Deutschlands auflagenstärkster Zeitung, abgedruckt, und der „Heizungshammer“ ist inzwischen Teil des Standard-Lexikons der Publikation geworden.
„Die Bild-Zeitung betreibt eine regelrechte Kampagne gegen die Grünen“, sagte Römmele. Sie warf allen Blättern des Axel-Springer-Konzerns, der 2021 Politico übernommen hat, vor, mitschuldig zu sein. Das Unternehmen hat eine lange Geschichte der Verleumdung linker Aktivisten und Politiker, mit manchmal fatalen Folgen.
US-Experte zum Heizungsgesetz: „Notweniger Schritt“
Nach Ansicht Gordons spielt die Boulevardpresse mit der „populistischen Agitation“, dass das Heizungsgesetz das Werk von „elitären Gruppen in Berlin ist, die nicht wissen, wie es ist, sich Sorgen zu machen, wie man am Ende des Monats Gas und Benzin bezahlen soll“. Dieses Gefühl ist besonders in den neuen Bundesländern verbreitet, die ärmer sind als die westlichen Bundesländer und in denen die AfD stark ist. Wie bei vielen Klimamaßnahmen, betont Gordon, können die Vorlaufkosten für grüne Technologien teuer sein - aber langfristig zahlt sich das aus.
Scholz‘ Koalition scheint einige dieser Kritiken registriert zu haben. Die Grünen und die FDP haben wochenlang öffentlich über das Heizungsgesetz gestritten, bevor sie sich auf einen Kompromiss einigten, der einige Bestimmungen abschwächt, „um Verbrauchern und Kommunen mehr Zeit zu geben, sich darüber klar zu werden“, sagte Gordon. Der letzte Entwurf des Gesetzes sieht beispielsweise vor, dass Gebäude weiterhin mit fossilen Brennstoffen beheizt werden dürfen, wenn sie mit grünem Wasserstoff betrieben werden können, sobald dieser in großem Maßstab produziert wird. Auch die Verbrauchersubventionen wurden erhöht.
Kabinett Scholz: Nach dem Ampel-Aus kommt Rot-Grün ohne Mehrheit




„Auch wenn die aktuelle Gesetzgebung nicht so ehrgeizig ist, wie es die Grünen ursprünglich wollten, ist sie doch ein notwendiger Schritt auf dem Weg zur Reduzierung der Emissionen aus Gebäuden“, fügte Gordon hinzu. In einem neuen Bericht einer staatlichen Aufsichtsbehörde wird davor gewarnt, dass eine signifikante Reduzierung der Emissionen aus dem Gebäudesektor von der Verabschiedung des Heizungsgesetzes abhängt - aber selbst das könnte für Deutschland nicht ausreichen, um seine Klimaziele zu erreichen.
AfD-Umfragehoch: Heizungsgesetz kommt wohl - doch ist der Schaden schon angerichtet?
Habeck wollte das Heizungsgesetz noch vor der Sommerpause des Bundestages verabschieden, aber ein Antrag der CDU beim Bundesverfassungsgericht hat den Fortschritt der Maßnahme bis zur nächsten Legislaturperiode am 4. September gestoppt. Die Mitte-Rechts-Partei beklagte die Geschwindigkeit, mit der Habeck das Heizungsgesetz durch das Parlament bringen wollte, und behauptete, es gäbe nicht genug Zeit für eine angemessene Debatte - und das Gericht stimmte zu.
Sowohl Gordon als auch Römmele haben wenig Zweifel daran, dass die Maßnahme rasch verabschiedet wird, sobald der Bundestag wieder zusammentritt. Doch der politische Schaden könnte bereits angerichtet sein. Während sich bei den Landtagswahlen im Oktober in Hessen und Bayern wahrscheinlich die etablierten Mitte-Rechts-Parteien durchsetzen werden, die gegen das Heizungsgesetz sind, „werden wir bei den drei Landtagswahlen in den neuen Bundesländern im nächsten Jahr höchstwahrscheinlich eine extrem starke AfD haben“, so Römmele. „Vielleicht schafft es die AfD sogar, die stärkste Partei zu werden.“
Die überwältigende Mehrheit der Deutschen hat die Nase voll von Scholz‘ Koalition: Laut einer im August veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa liegt die Ablehnung des Kanzlers derzeit bei 70 Prozent, und 64 Prozent der Deutschen wünschen sich eine neue Regierung. Vor allem die Grünen haben in den letzten Monaten gelitten, die Basis der Partei ist auf ein Fünfjahrestief geschrumpft. Habeck, der einst der beliebteste Politiker in Deutschland war, wird nun von vielen verachtet.
Heizungsgesetz: Habeck räumt Fehler ein - hilft der Ampel nun der heiße Sommer?
Obwohl der Ansturm der Opposition und der Medien auf den Vizekanzler extrem war, ist Habeck der Erste, der zugibt, dass er bei der ursprünglichen Verabschiedung des Heizungsgesetzes Fehler gemacht hat. Nachdem die Deutschen ihren ersten Winter ohne russische fossile Brennstoffe überstanden hatten, waren die meisten müde, ständig über ihre Heizungen zu diskutieren - eine Müdigkeit, die Habeck nach eigener Aussage nicht ernst genommen hat. „Zwischen den ersten Monaten dieses Jahres und heute ist in Deutschland etwas passiert, das ich - oder wir - nicht rechtzeitig erkannt haben“, sagte er im Juni der ARD.
Jetzt, am anderen Ende des Sommers, glaubt Gordon, dass das heiße Wetter, das die Deutschen erlebt haben, ein Segen für die Zielgerade der Wärmepumpenoffensive von Habeck sein könnte. Die meisten Deutschen haben keine Klimaanlagen, aber „das Gute an Wärmepumpen ist, dass einige von ihnen sowohl heizen als auch kühlen können“, so Gordon.
„Nehmen wir an, Sie bauen 2025 ein neues Haus in Deutschland und wollen dort 20 Jahre lang leben. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass Sie in den 2040er Jahren eine Klimaanlage haben wollen“, sagte Gordon. „Das könnte ein weiterer Grund sein, die Leute dazu zu bringen, an die Zukunft zu denken. Es geht nicht nur darum, dass die Gaspreise steigen und wir aus Klimagründen aufhören müssen, Gas zu verbrennen. Es geht darum, dass die Temperaturen auf der ganzen Welt ansteigen. Und ich will diese Technologie, die auch meine Wohnung im August kühl halten kann.“
Zur Autorin
Allison Meakem ist stellvertretende Redakteurin bei Foreign Policy. Twitter (X): @allisonmeakem
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Dieser Artikel war zuerst am 1. September 2023 in englischer Sprache im Magazin „ForeignPolicy.com“ erschienen – im Zuge einer Kooperation steht er nun in Übersetzung auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung.
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