„Vergiftung“ des politischen Diskurses
Eine „gute Tradition“: CSU hält Söders Aussagen zu den Grünen für unproblematisch
- VonTadhg Nagelschließen
Die Grünen wurden erneut Opfer von Anfeindungen. Eine Spur führt zu den Aussagen Markus Söders. Die CSU hält dagegen und postuliert eine klare Haltung.
Update vom 16. Februar, 9.45 Uhr: Der CSU-Abgeordnete Klaus Holetschek hält die von Markus Söder in Passau getroffenen Aussagen nicht für verwerflich, wie er gegenüber fr.de äußerte. In Bayern sei der „gepflegte politische Austausch am Stammtisch“ eine „gute Tradition“. Der politische Aschermittwoch sei „so etwas wie der institutionalisierte Stammtisch. Da wird traditionsgemäß Klartext gesprochen“, wozu eben auch eine „ehrliche politische Analyse“ und „offene Aussprache, auch über die politischen Mitbewerber“ gehören würden.
Daher, so Holetschek, fühle man sich auch nicht verantwortlich für die Anfeindungen gegenüber Politikern der Grünen. Man habe „keine Toleranz für gewaltbereite Krawallmacher“; zudem stehe für die CSU „der friedliche Dialog an erster Stelle“. Die Schuld für die Vorkommnisse in Biberach sieht Holetschek in Berlin. Zwar habe man „die Kfz-Besteuerung für Traktoren nach den massiven Protesten eilig wieder zurückgenommen“, der geplante Wegfall der Agrardiesel-Subventionen bleibe aber „der nächste Anschlag der Ampel auf den ländlichen Raum“.
Gegen die Grünen und die AfD - Die CSU hält ihre Position für klar
Laut Holetschek betreiben die Grünen „weltfremde Politik“ und konzentrieren „sich auf Klientelpolitik“. Sie ließen „den ländlichen Raum im Stich“, was der aktuelle Protest belege. Schwarz-Grün sei daher „keine Option – weder im Bund, noch in Bayern“.
„Sich gegen die ideologisch getriebene Politik der Grünen abzugrenzen“, schließe gleichwohl „nicht aus, die AfD, als Feinde unserer Demokratie, mit aller Entschlossenheit zu bekämpfen“, so der CSU-Abgeordnete weiter. Die AfD sei „ein Feind des Parlaments und ein Feind der Verfassung“ und habe „es sich zum Ziel gesetzt, unsere Verfassungsorgane zu delegitimieren“. Die Haltung der CSU sei daher eindeutig.
Immer wieder gibt es Anfeindungen gegen die Grünen-Politiker
Erstmeldung vom 15. Februar: Berlin/Biberach – Die Vorkommnisse rund um den politischen Aschermittwoch der Grünen im baden-württembergischen Biberach reihen sich ein in eine Serie von ähnlichen Vorfällen. Immer wieder wird die Partei zum Ziel von Anfeindungen aus Politik und Bürgerschaft. Ist der demokratische Diskurs in Gefahr?
Die Grünen mussten ihren politischen Aschermittwoch gestern kurzfristig absagen; aus Sicherheitsbedenken und wegen der aggressiven Stimmung einiger Demonstrierender. Laut den Einsatzkräften vor Ort wurden Pflastersteine aus dem Gehweg genommen, Böller gezündet sowie ein Misthaufen vor dem Veranstaltungsort abgekippt. Zudem sei die Autoscheibe eines Begleitfahrzeugs von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir eingeschlagen worden. Auch Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang bekam die Wut des Mobs zu spüren. Wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtete, verfolgte eine aufgebrachte Menge die Politikerin und ihre Personenschützer in Schorndorf rund 50 Meter weit und beschimpfte sie dabei, bis die Polizei schließlich Einhalt gebot.
Grünen-Urgestein sieht Schuld auch bei Söder: „Eine direkte Linie von Passau nach Biberach“
Winfried Kretschmann (Grüne), der Ministerpräsident Baden-Württembergs, kritisierte die Vorfälle scharf. Solche Vorfälle würden „den Anliegen der Landwirte und unserer politischen Kultur“ schaden, die „die immer auf Kompromiss und Ausgleich ausgerichtet“ sei, so Kretschmann am Mittwochabend (14. Februar) laut einer Sprecherin. Wer die „Spielregeln“ der Demokratie, also „sachlichen Streit der Argumente“ sowie „fairen und konstruktiven Dialog“ missachte, verlasse „den legitimen Raum demokratischen Protests“. In Biberach sei diese Schwelle „mehrfach überschritten“ worden, so Kretschmann weiter.
Allerdings wurde diese Schwelle gestern nicht nur in Biberach überschritten, zumindest wenn es nach dem ehemaligen Grünen Bundestagsabgeordneten Jürgen Trittin geht. Auf dem Kurznachrichtendienst X (früher Twitter) gab er dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder eine Mitverantwortung für die zunehmende politische Verrohung. Es führe „eine direkte Linie von Passau nach Biberach“, so Trittin. Die CSU hatte dort ebenfalls einen politischen Aschermittwoch abgehalten, auf dem Söder zu einem Rundumschlag gegen sein Lieblingsziel ausholte: die Grünen. Neben dem altbekannten Narrativ von der Verbotspartei, die nicht so recht zu Bayern passe, auch ein Tiefschlag: Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sei eine „grüne Margot Honecker“.
Für Lemke, die selbst in der DDR aufwuchs und, laut einem Tweet des Umweltministeriums „1989 zusammen mit hunderttausenden Menschen auf die Straße“ ging, um „für Freiheit, Demokratie und gegen das DDR-Regime zu demonstrieren“, ist diese Aussage von Markus Söder „ebenso geschichtsvergessen wie grenzüberschreitend“. Der ehemalige grüne Abgeordnete Trittin wurde in seinem Post noch deutlicher. Aussagen wie die Söders würden „genau jene Enthemmung“ fördern, die letztlich „den rechten Mob“ befeuere, so der Vorwurf Trittins.
Eine „Enthemmung“, die den „rechten Mob“ befeuert - Wie der politische Diskurs vergiftet wird
Lässt sich die Schuld für die gewaltvollen Ausschreitungen in Biberach und die Wut der Bürger gegenüber den Grünen also tatsächlich zu Aussagen wie denen Markus Söders zurückverfolgen? Zunächst einmal seien „unterschiedliche Ansichten genau das, was wir in einer Demokratie haben möchten“, so der Politikwissenschaftler Martin Gross, der am Institut für Politikwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München tätig ist, im Interview mit fr.de von IPPEN.MEDIA. Sowohl die Grünen, als auch die CSU befinden sich ihm zufolge „eindeutig im demokratischen Spektrum und bieten Wählerinnen und Wählern unterschiedliche Politikangebote“. Gefährlich werde es aber, wenn „der politische Wettbewerb durch Aussagen wie die von Markus Söder vergiftet wird“. Denn „diese fallen zurzeit auf einen fruchtbaren Boden in gewissen, sich radikalisierenden Teilen der Gesellschaft“.
„Die teilweise ausgearteten und mit nichts zu rechtfertigenden Proteste einzelner Bauern und Fuhrunternehmer werden durch solche Aussagen weiter angeheizt und richten sich im Endeffekt nicht ausschließlich gegen die Grünen, sondern gegen die gesamte politische Elite – und damit auch die CSU. Das ist ein sehr gefährliches Vorgehen“, so Gross weiter. Aussagen, wie die von Markus Söder vorgenommene, hätten daher „im demokratischen Diskurs absolut keinen Platz“. Der Vergleich von Steffi Lemke und Margot Honecker sei „deplatziert“ und lasse „bei Markus Söder jegliches Wissen über die Person Margot Honecker und ihre Bedeutung als Ministerin für Volksbildung der DDR vermissen“.
Demokraten, ob Grüne oder CSU, müssen sich geeint zeigen – gegen „Gewalt und Grenzüberschreitungen“
Einerseits zeige sich daran, „einmal mehr, wie wenig insbesondere in den westdeutschen Bundesländern die DDR-Diktatur, ihre Funktionsweise und ihre handelnden Akteure eine Rolle spielen beziehungsweise überhaupt bekannt sind“. Andererseits verschiebe sich dadurch „der demokratische Kurs in Gefilde, die bis in jüngste Zeit als unsagbar galten“. Das normalisiere „ein Stück weit dann die noch extremeren Aussagen der AfD“. Unter demokratischen Parteien, ist Gross sich sicher, „sollten solche Aussagen keinen Platz haben“.
Auch die Fraktionsvorsitzende der Grünen in Bayern, Katharina Schulze, betonte gegenüber fr.de, dass Meinungs- und Versammlungsfreiheit „zum Kern unserer Demokratie“ gehören. Jedoch seien „Gewalt und Grenzüberschreitungen wie in Biberach“ nicht zu rechtfertigen. Der Rechtsrutsch sei „eine existenzielle Bedrohung für die Sicherheit, die Freiheit und den Wohlstand in unserem Land“. Daher sei es „jetzt die Aufgabe und die Zeit, dass alle Demokratinnen und Demokraten sich unterhaken: Getrennt in den Farben, aber vereint in der Sache, um unsere Demokratie zu schützen. Man kann über alles leidenschaftlich diskutieren, gerne auch hart in der Sache streiten, aber bitte immer mit Anstand und Respekt“, so Schulze weiter. (tpn)
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