Wahlsystem, Sitze, Fraktionen

So funktioniert die Europawahl: Was wird eigentlich genau gewählt?

  • Stephanie Munk
    VonStephanie Munk
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Bei der Europawahl 2024 entscheiden die Menschen über das einzige direkt gewählte Organ der EU. Alles über Parteien, Kandidaten, Sitze und Fraktionen.

Straßburg – Mehrere deutsche Prominente mobilisieren derzeit für die Europawahl: Barbara Schöneberger, Hannes Jaenicke, Jürgen Vogel, Florian David Fitz und andere zeigen sich zähneputzend in einem Video mit dem Slogan: „Wählen ist wie Zähneputzen – machst du es nicht, wirds braun.“

Angespielt wird damit auf einen laut aktuellen Umfragen zur Europawahl befürchteten Rechtsruck. Doch was hätte ein solcher überhaupt für Auswirkungen? Und was wird überhaupt gewählt bei der Europawahl, die vom 6. bis 9. Juni in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union stattfindet?

Was wird genau gewählt? So funktioniert die Europawahl

Bei der Europawahl 2024 bestimmen die rund 400 Millionen Wahlberechtigten in der EU über die Zusammensetzung des EU-Parlaments. Das EU-Parlament ist das einzige transnationale Vereinigung der Welt und auch das einzige Organ der EU, über die die Bürger direkt abstimmen.

Abgeordnete des Europäischen Parlaments sitzen im Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Straßburg. Vom 6. bis 9. Juni ist die Europawahl 2024.

Die Abgeordneten aus den einzelnen EU-Ländern werden nach der Europawahl nach Straßburg entsendet. Dort vertreten sie die Interessen der EU-Bürgerinnen und -Bürger auf europäischer Ebene. Sie beraten im gemeinsamen Europäischen Parlament über Gesetzestexte und stimmen über neue Gesetze ab. Die Parlamentarier genehmigen auch den EU-Haushalt und entscheiden, wie viel Geld wofür ausgegeben wird.

In der nächsten Legislaturperiode, die nach der Europawahl 2024 beginnt, wird es 720 Abgeordnete aus 27 EU-Mitgliedsstaaten geben. Die Wahl findet in allen Ländern der EU gleichzeitig statt, und zwar zwischen dem 6. und 9. Juni. Den Beginn machen die Niederlande, wo die Wahllokale schon am Donnerstag, 6. Juni, geöffnet sind. In Deutschland ist der Termin der Europawahl am Sonntag, 9, Juni. Zuletzt schließt Italien seine Wahllokale, und zwar am 9. Juni um 23 Uhr.

Wie viele Sitze im EU-Parlament jedes Mitgliedsland bekommt, ist von vornherein festgelegt. Deutschland entsendet 96 Abgeordnete nach Straßburg. Das sind die meisten unter den EU-Staaten, denn Deutschland ist das bevölkerungsreichste Land der EU. Danach folgt Frankreich mit 79 Abgeordneten, dann Italien mit 76 Parlamentariern. Eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter im EU-Parlament aus Deutschland repräsentiert rund 860.000 Personen.

Bei der Europawahl gilt das Verhältniswahlrecht. Das heißt, die Vergabe der Mandate erfolgt proportional zum Stimmenanteil. In Deutschland gibt es keine Sperrklausel für die Europawahl, wie zum Beispiel die Fünf-Prozent-Hürde bei den Bundestagswahlen. Eine Partei muss also nicht einen bestimmten Prozentsatz erreichen, um ins EU-Parlament einziehen zu können.

In anderen Ländern gibt es solche Sperrklauseln durchaus, je nach Land zum Beispiel Fünf-Prozent-Hürden oder Drei-Prozent-Hürden. Über Sperrklauseln kann bisher jedes Mitgliedsland selbst entscheiden.

In Deutschland können die einzelnen Parteien selbst entscheiden, ob sie mit einer Bundesliste für Gesamt–Deutschland oder mit je eigenen Listen für die einzelnen Bundesländer antreten. Die CDU/CSU haben sich zum Beispiel für zweiteren Weg entschieden, sodass in jedem Bundesland andere Kandidaten für die Europawahl antreten. Ursula von der Leyen ist die bundesweite CDU-Spitzenkandidatin, obwohl sie als EU-Kommissionspräsidentin auf keiner Landesliste zu finden ist.

Insgesamt treten in Deutschland 34 Parteien bei der Europawahl 2024 an. Die wichtigsten Spitzenkandidaten der deutschen Parteien sind die folgenden:

  • CSU: Manfred Weber
  • SPD: Katarina Barley
  • Grüne: Terry Reintke
  • AfD: Maximilian Krah
  • BSW: Fabio de Masi
  • FDP: Agnes Strack-Zimmermann
  • Die Linke: Carola Rackete und Martin Schirdewan
  • Freie Wähler: Christine Singer

Bei der Wahl gilt: Alle haben auf dem Stimmzettel zur Europawahl nur eine einzige Stimme. Gewählt wird nicht ein Kandidat, sondern eine Partei. Man kann somit sein Kreuz entweder bei der CDU oder bei der SPD oder bei der AfD oder bei den Grünen machen. Welche Kandidaten dann ins Parlament einziehen, haben die Parteien im Vorfeld über ihre Wahllisten selbst festgelegt.

Die 96 Sitze im EU-Parlament, die für Deutschland reserviert sind, werden im Anschluss an die Wahl je nach Ergebnis der Europawahl auf die einzelnen Parteien verteilt. Dabei gilt, dass sie entsprechend dem Verhältnis ihrer insgesamt erreichten Stimmen aufgeteilt werden. Die Gesamtzahl der Stimmen wird dabei durch die Gesamtzahl der zu verteilenden Sitze dividiert. Bei einem Rest von mehr oder weniger als 0,5 wird ab- oder aufgerundet, bei genau 0,5 wird gelost.

Auf dem Weg nach Europa: Die Aufnahmekandidaten der EU

EU Parlament Straßburg
Jeder europäische Staat hat laut Artikel 49 des EU-Vertrags das Recht, einen Antrag auf Mitgliedschaft zu stellen. Wichtig dabei: „Europäisch“ wird politisch-kulturell verstanden und schließt die Mitglieder des Europarats mit ein. Das betrifft zum Beispiel die Republik Zypern. Eine wichtige Rolle spielt im Beitrittsverfahren das EU-Parlament in Straßburg (im Bild). Verschiedene Delegationen verfolgen die Fortschritte in den Beitrittsländern und weisen auf mögliche Probleme hin. Zudem müssen die Abgeordneten dem EU-Beitritt eines Landes im Parlament zustimmen. Derzeit gibt es neun Beitrittskandidaten und einen Bewerberstaat. © PantherMedia
Edi Rama Albanian EU
Albanien reichte 2009 den formellen EU-Mitgliedschaftsantrag ein – vier Jahre, bevor Edi Rama (im Bild) das Amt des Ministerpräsidenten übernahm. Es dauerte aber noch eine lange Zeit, bis die Verhandlungen beginnen konnten. Grund war ein Einspruch der Niederlande, die sich zusätzlich zu den EU-Kriterien auch die Sicherstellung der Funktion des Verfassungsgerichts und die Umsetzung eines Mediengesetzes wünschte. Im Juli 2022 konnte die Blockade beendet werden und die EU startete die Beitrittsverhandlungen. © John Thys/afp
Bosnien und Herzegowina EU
Auch Bosnien und Herzegowina drängt in die EU. Gut erkennen konnte man das zum Beispiel am Europatag 2021, als die Vijećnica in der Hauptstadt Sarajevo mit den Farben der Flaggen der Europäischen Union und Bosnien und Herzegowinas beleuchtet war. EU-Botschafter Johann Sattler nutzte sofort die Gelegenheit, um das alte Rathaus zu fotografieren. Vor den geplanten Beitrittsverhandlungen muss das Balkanland noch einige Reformen umsetzen. Dabei geht es unter anderem um Rechtsstaatlichkeit und den Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen.  © Elvis Barukcic/afp
Georgien EU
Zum Kreis der EU-Beitrittskandidaten gehört auch das an Russland grenzende Georgien. Das Land, in dem rund 3,7 Millionen Menschen leben, hatte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs die Aufnahme in die EU beantragt. Auf schnelle Fortschritte im Beitrittsprozess kann Georgien allerdings nicht hoffen. Dabei spielt auch ein ungelöster Territorialkonflikt mit Russland eine Rolle. Nach einem Krieg 2008 erkannte Moskau die abtrünnigen georgischen Gebiete Südossetien (im Bild) und Abchasien als unabhängige Staaten an und stationierte Tausende Soldaten in der Region. © Dimitry Kostyukov/afp
Moldau EU
Seit Juni 2022 gehört auch Moldau offiziell zu den EU-Beitrittskandidaten. Das Land, das an Rumänien und die Ukraine grenzt, reichte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs das Beitrittsgesuch ein. Am 21. Mai 2023 demonstrierten 80.000 Menschen in der Hauptstadt Chișinău für einen Beitritt Moldaus in die Europäische Union. Die damalige Innenministerin Ana Revenco (Mitte) mischte sich damals ebenfalls unters Volk. © Elena Covalenco/afp
Montenegro EU
Das am kleine Balkanland Montenegro will beim EU-Beitritt zügig vorankommen. Direkt nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten Ende Oktober 2023 verkündete Milojko Spajic (im Bild), dass er den Beitritt Montenegros zur EU vorantreiben und die Justiz im Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen stärken wolle. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (rechts) hörte es damals sicher gerne. Montenegro verhandelt seit 2012 über einen Beitritt, hatte sich aber vor der Wahl nicht mehr ausgiebig um Reformen bemüht.  © Savo Prelevic/afp
Scholz Westbalkan-Gipfel Nordmazedonien EU
Nordmazedonien kämpft schon seit langer Zeit für den Beitritt in die EU. Leicht ist das nicht. So hat das kleine Land in Südosteuropa aufgrund eines Streits mit Griechenland sogar schon eine Namensänderung hinter sich. Seit 2019 firmiert der Binnenstaat amtlich unter dem Namen Republik Nordmazedonien. Auch Bulgarien blockierte lange den Beginn von Verhandlungen. Bei einem Gipfeltreffen im Oktober 2023 drängte Kanzler Olaf Scholz dann aber auf eine möglichst schnelle Aufnahme der Balkanstaaten in die EU. Nordmazedoniens Ministerpräsident Dimitar Kovacevski (rechts) war sichtlich erfreut. © Michael Kappeler/dpa
Serbien EU
Auch Serbien strebt in die EU. Wann es zu einem Beitritt kommt, scheint derzeit aber völlig offen. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine hat sich die serbische Regierung geweigert, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Damit ist Serbien der einzige Staat in Europa, der keine Sanktionen verhängt hat. Offen bleibt, welche Auswirkungen das auf die seit 2014 laufenden Verhandlungen über einen EU-Beitritt Serbiens hat. Die politische Führung in Belgrad, die seit 2012 von Präsident Aleksandar Vučić (im Bild) dominiert wird, zeigt zudem wenig Willen zu Reformen. Demokratie und Medienpluralismus höhlt sie zunehmend aus. © Andrej Isakovic/afp
Türkei EU
Die Türkei ist bereits seit 1999 Beitrittskandidat. Die Verhandlungen selbst haben im Oktober 2005 begonnen. Inzwischen hat die EU-Kommission vorgeschlagen, die Beziehungen wieder auszubauen, sofern sich die Regierung in Ankara unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan (im Bild) in einigen Punkten bewegt. Zuvor waren Projekte wie die geplante Modernisierung der Zollunion und eine Visaliberalisierung wegen Rückschritten bei Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und Meinungsfreiheit in der Türkei auf Eis gelegt worden. Ein EU-Beitritt scheint aktuell weiter entfernt denn je. © Adem Altan/afp
Ukraine EU
Im Dezember 2023 wurde der Beginn von Verhandlungen mit der Ukraine grundsätzlich beschlossen. Allerdings muss die Ukraine sämtliche Reformauflagen erfüllen. So waren nach dem letzten Kommissionsbericht manche Reformen zur Korruptionsbekämpfung, zum Minderheitenschutz und zum Einfluss von Oligarchen im Land nicht vollständig umgesetzt. Ohnehin gilt es als ausgeschlossen, dass die Ukraine vor dem Ende des Ukraine-Kriegs EU-Mitglied wird. Denn dann könnte Kiew laut EU-Vertrag militärischen Beistand einfordern – und die EU wäre offiziell Kriegspartei. © Roman Pilipey/afp
Kosovo EU
Kosovo hat einen Mitgliedsantrag eingereicht, jedoch noch nicht den offiziellen Status eines Beitrittskandidaten erhalten. Das Land hat 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Die Freude darüber war damals bei den Menschen riesengroß. Das Bild macht auch deutlich, dass vor allem Menschen albanischer Herkunft im Kosovo beheimatet sind. Die Flagge Albaniens (links) ist ebenso zu sehen wie die des neuen Landes (hinten). Mehr als 100 Länder, darunter auch Deutschland, erkennen den neuen Staat an. Russland, China, Serbien und einige EU-Staaten tun dies aber nicht. Ohne die Anerkennung durch alle EU-Länder ist eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen aber nicht möglich.  © Dimitar Dilkoff/afp

Bei Parteien wie der CDU, die mit einzelnen Landeslisten angetreten ist, werden die Sitze entsprechend auf die Landeslisten unterverteilt.

Die Sitze werden an die Kandidatinnen und Kandidaten entsprechend der Reihenfolge der Wahllisten vergeben. Wer auf Platz 1 der Liste steht – bei den Grünen beispielsweise Terry Reintke – kommt als erster zum Zug, und so weiter. Gibt es weniger Bewerber als Sitze, bleiben Sitze unbesetzt.

Bei der Europawahl werden zwar die nationalen politischen Parteien gewählt. Nach der Wahl entschieden sich aber die meisten Parteien für einen Beitritt zu einer transnationalen politischen Gruppierung, die sich auf gemeinsame Ideale berufen.

Im Falle der konservativen Parteien aus den EU-Mitgliedstaaten ist das beispielsweise die EVP (Europäische Volkspartei), der aus Deutschland die CDU/CSU angehören. Sie stellen derzeit 179 Abgeordnete in Straßburg.

Fraktionen nach der Europawahl: Rechtsaußen-Parteien sind gespalten

Die Fraktion der Rechtsaußen-Parteien im EU-Parlament ist gespalten in die EKR-Fraktion (Europäische Konservative und Reformer) und die ID-Fraktion (Identität und Demokratie).

Die AfD gehörte im Europaparlament bisher großteils der Rechtsaußen-Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID) an, würde im Mai 2024 jedoch davon ausgeschlossen. „Die ID-Gruppe will nicht länger im Zusammenhang mit den Vorfällen um Maximilian Krah, dem Spitzenkandidaten der AfD für die Europawahl, stehen“, so der Fraktionsvorsitzende Marco Zanni von der italienischen Partei Lega. Grund dafür seien unter anderem verharmlosende Kommentare des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah zur SS.

Einen Überblick über die Fraktionen im EU-Parlament in Straßburg und welche deutschen Parteien ihr angehören, finden Sie hier.

Deutsche ParteiFraktion im EU-ParlamentAnzahl Abgeordnete (Deutsche)
CDU/CSUEVP (Europäische Volkspartei)179 (30)
SPDS&D (Progressive Allianz der Sozialdemokraten)140 (16)
Grüne/Volt/ödpDie Grünen/EFA (Europäische Freie Allianz)71 (24)
FDPRenew Europe102 (7)
AfD (bis Mai 2024)ID (Identität und Demokratie)59 (9 bis Mai 2024)
Die LinkeGUE/NGL (Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordischen Grünen Linken)37 (5)

Was geschieht nach der Europawahl?

Bei der ersten Sitzung nach der Europawahl wählen sich die Abgeordneten eine Parlamentspräsidentin oder -präsidenten. In einer weiteren Sitzung wird die Präsidentin oder der Präsidentin der EU-Kommission ernannt, derzeit ist das Ursula von der Leyen (CDU) aus Deutschland. Sie will auch nach der Europawahl 2024 fünf weitere Jahre an der Spitze der EU bleiben. (smu)

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