Migrationskrise

Diese Lehren muss Europa in der Migrationskrise aus der Vergangenheit ziehen

  • Moritz Maier
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Wie muss Europa mit Migration umgehen? Für Antworten lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Migration besser und humaner zu regeln, hat bereits funktioniert.

Berlin – Immer mehr Menschen suchen in Deutschland Schutz. Etliche Kommunen sprechen längst von Überforderung. Zeitgleich werden Forderungen nach Abschiebungen und Migrationsabkommen lauter. Dabei nützen viele Maßnahmen kaum. 2016 dagegen zeigte die EU, wie es funktionieren kann.

Nicht jedes Migrationsabkommen hilft der EU und den Geflüchteten

Deutsche Politiker:innen fordern mittlerweile parteiübergreifend Migrationsabkommen mit sicheren Drittstaaten. Erfolgreiche Verhandlungen, etwa mit afrikanischen Staaten und der EU, gibt es aber nicht. Im Gegenteil: Ein Abkommen mit Tunesien scheiterte vor einigen Monaten de facto. Der Türkei-Deal von 2016 war der letzte große Wurf der europäischen Migrationspolitik. Gerald Knaus ist der Architekt dieses Abkommens und erklärt im Gespräch mit Ippen.Media, welche Fehler Deutschland und die EU in Libyen, Ägypten und Tunesien machen.

Gerald Knaus ist erfahrener Migrationsforscher und Mitgründer der Denkfabrik Europäische Stabilitätsinitiative (ESI).

Migrationsabkommen gelten bei vielen Entscheidungsträger:innen als der beste Weg, irreguläre Migration durch Rückführungen zu begrenzen, gleichzeitig reguläre Zuwanderung zu erleichtern und einen humanitären Umgang mit den Menschen zu garantieren. Jüngsten Abkommen der EU mit Drittstaaten mangelt es Knaus zufolge aber an vielen Stellen.

Partnerländern Geld zu überweisen reicht in der Migrationsfrage nicht aus

„Es gibt Abkommen, aber es sind die falschen. Die Kooperation mit Libyen seit 2017 ist ein moralischer Skandal. Die libysche Küstenwache bekommt Geld, um Menschen abzufangen und unter Misshandlungen einzusperren“, sagt der Experte. „Da geht es nicht um Rückführungen ab Stichtagen, um die Menschenrechtskonvention oder faire Verfahren in einem sicheren Drittstaat. Es gibt auch keine legalen Wege für Schutzsuchende. Wir brauchen Abkommen wie das, was die Türkei 2016 der EU angeboten hat.

Im Mittelmeer kommt es immer wieder zu tragischen Bootsunglücken, bei denen etliche Menschen ertrinken. Meist sitzen sie in unsicheren und überfüllten Schlepperbooten Richtung Europa.

Für erfolgreiche Migrationsabkommen reicht es also nicht, den Partnerländern nur Geld zu versprechen. Knaus zufolge ist eine klare Regelung der Rückführungen entscheidend, da sie Signalwirkung hat. Würde heute ein Migrationsabkommen beschlossen werden, würde im März kaum noch jemand in Boote steigen. Den Asylsuchenden werde dadurch klar, dass der irreguläre Weg keinen Erfolg mehr verspricht. Auch in derzeitigen Verhandlungen zwischen der EU und Ägypten sind Rückführungen bisher nicht absehbar.

Durch das Türkei-Abkommen ertranken weniger Menschen im Mittelmeer

Funktioniert hat Knaus Modell erstmals 2016 in Zusammenarbeit mit der Türkei. In den zwölf Monaten vor dem Abkommen sind in der Ägäis Knaus zufolge etwa eine Million Menschen in Schlepperboote Richtung Griechenland gestiegen. Allein 2015 ertranken dabei über 1100 Menschen. Im ersten Jahr nach dem Türkei-Abkommen sind lediglich noch 26.000 Menschen in Boote gestiegen. Auch Pushbacks, also das gewaltvolle Zurückstoßen der Menschen von griechischer Seite, wurde drastisch reduziert.

Um die Forderungen nach Migrationsabkommen mit sicheren Drittstaaten künftig zum Erfolg zu führen, muss sich die EU auf die Erfolge des Türkei-Deals erinnern.

So muss die europäische Migrationspolitik künftig aussehen

Ziel für künftige Migrationsabkommen muss es dem Migrationsforscher zufolge also sein, konkrete Maßnahmen festzulegen. Dafür soll sich die EU an die Erfolge des Türkei-Deals erinnern. Denn im Gegensatz zu den Abkommen mit Tunesien oder Libyen wurden zwischen Brüssel und Ankara klare Regeln festgelegt: Geflüchtete, die mit Schlepperbooten nach Griechenland kamen, wurden in die Türkei zurückgeführt. Im Gegenzug durften syrische Asylsuchende regulär von der Türkei in die EU einreisen. Dazu bekam die Türkei sechs Milliarden Euro und Visa-Erleichterungen für seiner Bürger:innen.

Es gilt, den Drittstaaten in künftigen Verhandlungen Vorteile anzubieten, sagt Migrationsforscher Knaus: „Wichtig ist, das Ziel klarzumachen: solche Migrationsabkommen führen schnell zu weniger Rückführungen, weil Menschen nach solchen Einigungen nicht mehr auf irregulärem Weg nach Europa aufbrechen. Und damit sehr viel weniger Menschen ums Leben kommen.“

Rubriklistenbild: © IMAGO/Hasan Mrad

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