Ippen.Media-Recherche
Deutscher in Italien verhaftet: So missbraucht Erdogan Interpol, um Gegner mundtot zu machen
VonErkan Pehlivanschließen
Der Fall eines Berliners zeigt, wie Erdogan Interpol missbraucht, um Gegner im Ausland mundtot zu machen. Experten mahnen bei FR.de zur Vorsicht.
Cagliari – Der Fall des Berliners Devrim Akcadag zeigt, wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Gegner auch im Ausland zum Schweigen bringt. Der Deutsch-Kurde wollte mit seiner Tochter auf Sardinien Urlaub machen, wie er FR.de von Ippen.Media berichtet. Am 1. August kommt dann die italienische Polizei ins Hotel und verhaftet den Mann. Grund dafür ist ein internationaler Haftbefehl von Interpol. Die Türkei behauptet, dass der 47-jährige Deutsche Mitglied einer Terrororganisation sei, gemeint ist die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK.
Interpol als unfreiwillige Gehilfin Erdogans? „Geheime Zeugen“ werfen Unschuldigen Terrordelikte vor
Die Vorwürfe basieren oft auf Aussagen sogenannter „geheimer Zeugen“. Das hatten Recherchen unter der Leitung des Rechercheverbunds Correctiv zu den Entführungen von Erdogan-Gegnern aus dem Ausland durch den türkischen Geheimdienst MIT gezeigt. Die Beschuldigten erfahren die Identität dieser Personen nicht.
Gerade nach dem Putschversuch ließ Erdogan mit dieser Methode seine Gegner massenhaft verhaften. Die geheimen Zeugen sagten gegen ihre Opfer aus, die dann zu mehrjährigen Haftstrafen wegen Terrordelikte verurteilt wurden. Diese belastenden Aussagen werden entweder unter Folter gemacht oder dienen dazu, selbst vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen zu werden.
Türkische Geheimdienst MIT fordert vom BND Auslieferung von 300 „Terroristen“
Mit diesen Anklagen versucht das Regime von Präsident Erdogan dann aus dem Ausland Regimegegner ausgeliefert zu bekommen. 2017 hatte der türkische Geheimdienst MIT dem BND eine Liste mit 300 Namen übergeben: angeblich alles Terroristen. Auf der Liste waren vor allem die Namen von Anhängern der Gülen-Bewegung, die in Deutschland Schutz gesucht hatten. Allerdings werden Amtshilfeersuchen von der Bundesregierung abgeschmettert, wenn es sich um politische Gegner des türkischen Präsidenten handelt.
Auch in seinem Fall hatte die türkische Regierung in der Vergangenheit Berlin um Auslieferung gebeten, erzählt der ehemalige Journalist Devrim Akcadag. Die Bundesregierung hatte das aber abgelehnt. Jetzt hat die Türkei allerdings einen vorläufigen Erfolg in seinem Fall erzielt. Ankara konnte Interpol davon überzeugen, einen internationalen Haftbefehl zu erlassen.
Erdogan-Kritiker: Türkei verhält sich wie eine Gangsterbande
Experten mahnen allerdings bei Amtshilfsersuchen oder Anträgen auf internationalen Haftbefehl durch die Türkei zu Vorsicht. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagt Kemal Karanfil, ehemaliger Richter am türkischen Kassationshof (Yargıtay), die Verfassung sei in der Türkei seit 2013 de facto außer Kraft. „Seitdem wurden auch Richter und Staatsanwälte in dem Land verhaftet. Dies erreichte nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016 seinen Höhepunkt“, so Karanfil. In den folgenden Wochen und Monaten seien rund 5.000 Richter und Staatsanwälte in der Türkei verhaftet worden.
„Immer wieder werden Journalisten verhaftet, um kritische Stimmen zu unterdrücken. Kritiker werden aus dem Ausland gekidnappt und mit Privatflugzeugen in die Türkei gebracht.“ Die Türkei verhalte sich wie eine Gangsterbande. „Daher sind Verurteilungen, Auslieferungsersuchen oder internationale Haftbefehle, die von der türkischen Regierung ausgestellt werden, das Gleiche wie aus Ländern wie Syrien oder Iran“, warnt Karanfil.
Ex-Interpol-Mann warnt: Erdogan-Kritiker sollten nicht außerhalb von Schengen Urlaub machen
„Ferhat“ ist ein ehemaliger Mitarbeiter von Interpol, der seine wahre Identität aus Angst um seine Familienangehörigen nicht nennen möchte. Im Gespräch mit FR.de von IPPEN.MEDIA warnt er, dass die Türkei auch alleine durch den Antrag auf internationalen Haftbefehl unliebsame Gegner im Ausland verhaften lassen kann. Ob diese dann auch am Ende ausgeliefert werden, bleibe eine andere Frage, erzählt der ehemalige Interpol-Mitarbeiter. Der Mann rät Erdogan-Kritikern daher davon ab, außerhalb des Schengen-Raums Urlaub zu machen. Im Gegensatz zu Italien könnten andere Länder bedenkenlos Regimekritiker an die Türkei ausliefern.
Auch die Verteidigerin des Berliners, Antonia von der Behrens, sieht hier einen Missbrauch von Interpol durch die Türkei, um unliebsame Gegner zum Schweigen zu bringen. „Der Fall von Devrim Akcadag ist ein erneutes Beispiel dafür, wie die Türkei mit Hilfe von Interpolfahndungen ihre Praxis der politischen Verfolgung von Oppositionellen und Journalisten bis in die EU und weltweit ausdehnt“, erklärte die Juristin FR.de: „EU-Staaten werden zum Handlanger des türkischen Regimes gemacht, wenn sie nicht die Interpolfahndungen aus der Türkei sehr gründlich prüfen.“ Die Bundesregierung müsse daher mit Italien zusammenarbeiten, um eine Auslieferung Akcadags zu verhindern.
Türkei lässt politische Gegner im Ausland verfolgen - Bundesregierung gefordert?
Ähnlich sieht es auch die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (Die Linke). „Ganz offensichtlich missbraucht die türkische Regierung das über Interpol bestehende Fahndungsinstrument, um im Ausland Regimekritiker zu verfolgen. Schon mehrere deutsche Staatsbürger wurden während ihres Urlaubs im europäischen Ausland auf Betreiben der Türkei festgesetzt, weil sie sich kritisch über die politischen Verhältnisse in der Türkei geäußert hatten“, betonte Akbulut im Gespräch mit FR.de.
Die Bundesregierung müsse im Fall von Akcadag einschreiten. „Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass die Bundesregierung angesichts der Gefahr einer Auslieferung in die Türkei derart untätig ist und betroffene Bürgerinnen und Bürger, die ahnungslos in den Urlaub reisen, einem solchen Risiko aussetzt“, so Akbulut.
Erkan Pehlivan
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