Nahost-Konflikt

Hetzjagd in Dagestan: Russland zeigt Verständnis für Angreifer – und will die Schuldigen kennen

  • Marcus Giebel
    VonMarcus Giebel
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In der russischen Teilrepublik Dagestan sollen Bürger Jagd auf Juden gemacht haben. Der Kreml sieht die Schuld im Ausland.

Machatschkala – Diese Meldung hat selbst in diesen so dunklen Zeiten aufgerüttelt. In Machatschkala, der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Dagestan, soll eine wütende Menge nach Behördenangaben in den Flughafen eingedrungen und dann gewaltsam gegen Menschen vorgegangen sein, die mit einem Flugzeug aus Israel angekommen waren. Dabei seien 20 Menschen verletzt worden, darunter auch Polizisten.

60 Personen wurden laut dem Innenministerium vorübergehend festgenommen. Der internationale Teil des Flughafens wurde infolge der Zerstörungen stillgelegt, in der Nacht zu Dienstag soll er wieder geöffnet werden.

Vorfälle in Dagestan: Videos sollen Angriffe auf Juden zeigen

Über die genauen Hintergründe der Attacke wird gerätselt. Das Gleiche gilt für einen Vorfall in der dagestanischen Stadt Chassawjurt, wo sich Einwohner vor einem Hotel versammelt und dieses mit Steinen beworfen haben sollen, weil sie im Inneren Juden vermuteten. Es kursieren jeweils Videos im Internet, die die Angriffe belegen sollen. Da sich Russland seit mehr als anderthalb Jahren im Ukraine-Krieg befindet, gehen die Schuldzuweisungen wenig überraschend in Richtung Kiew.

Sergej Melikow, Präsident der Republik Dagestan im Nordkaukasus, sprach bei einem Besuch auf dem betroffenen Airport von einem gezielten Versuch, die Lage zu destabilisieren. Kräfte in der Ukraine hätten die Bürger über Telegram-Kanäle zu religiösem Hass aufgerufen. Belege für diese Behauptungen lieferte er nicht.

Ruft die Bürger zum Zusammenhalt auf: Dagestans Präsident Sergej Melikow muss die Vorfälle in seiner Republik erklären.

Dagestan-Präsident über Vorfall in Machatschkala: „Von Feinden verbreitete Fälschungen“

Via Telegram legte Melikow nach und warnte davor, „sich provozieren oder manipulieren“ zu lassen. „Aufgrund der von unseren Feinden verbreiteten Fälschungen waren sehr junge Leute kurz davor, das Gesetz zu brechen“, schrieb der 58-Jährige, der im Zusammenhang mit dem Krieg in Nahost die Nähe zu Palästina und den dortigen Opfern betonte.

Die Bluttaten der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas vom 7. Oktober, die rund 1400 Menschen in Israel das Leben kosteten, erwähnte der Politiker mit keinem Wort. Allerdings appellierte Melikow an alle Dagestaner, besonnen zu bleiben und eine Spaltung der Gesellschaft zu verhindern.

In der Region leben die als ultrakonservativ bekannten Salafisten ebenso wie jene Muslime, die dem Sufismus angehören, der als gemäßigte Glaubensrichtung innerhalb des Islam gilt. Über die Ungereimtheiten zwischen diesen eigentlich derselben Religion anhängenden Vertretern berichtete vor einigen Jahren der Deutschlandfunk.

Kreml zu Dagestan-Unruhen: „Situation missbraucht, um zu provozieren“

Auch der Kreml äußerte sich mittlerweile zu den Vorfällen in Machatschkala. Sprecher Dimitri Peskow erklärte, es sei aufgrund der TV-Bilder, die den „Horror“ aus dem Gazastreifen näherbringen, „sehr leicht, die Situation zu missbrauchen, dies zu provozieren, die Leute aufzubringen“. Für die Übergriffe scheint die politische Führung also durchaus Verständnis zu zeigen. Bieten sie doch die Gelegenheit, das derzeit in Moskau gern zitierte Feindbild aus dem Westen wieder in den Vordergrund zu rücken.

So will Kreml-Chef Wladimir Putin am Montagabend eine Sitzung zur Sicherheitslage und zu Destabilisierungsversuchen des Westens abhalten. Womöglich kommt dann auch wieder sein neuer XXL-Tisch zum Einsatz, der es ihm zuletzt schon bei einer Zusammenkunft mit Religionsführern ermöglichte, die Gäste auf Abstand zu halten.

Szene vom Flughafen von Machatschkala: Schwerbewaffnete Sicherheitskräfte sorgten letztlich für Ruhe.

Kreml-Sprecher wütet gen Westen: „Will Spaltung der Gesellschaft herbeiführen“

An dem Treffen sollen neben der Regierung auch Vertreter des russischen Sicherheitsapparates teilnehmen. Thematisiert werden sollen laut Peskow „die Versuche des Westens, die Lage im Nahen Osten dazu zu nutzen, eine Spaltung der russischen Gesellschaft herbeizuführen“. Wie er weiter ausführte, sei es offensichtlich, dass die Ausschreitungen durch Einmischung aus dem Ausland verursacht worden seien.

Putin wird zu Beginn der Sitzung eine öffentliche Stellungnahme abgeben. Zuletzt hatte der Präsident mit Blick auf die Lage im Nahen Osten zu einem friedlichen Miteinander aufgerufen. Peskow betonte, sein Chef werde ständig durch Inlandsgeheimdienst, Nationalgarde und Republikchef Melikow über die Lage in Dagestan informiert.

Unruhen in seinem Reich: Russlands Präsident Wladimir Putin will sich zur Sicherheitslage äußern.

Juden in Dagestan: Oberrabbiner spricht über mögliche Evakuierung

Derweil nimmt Felix Klein den russischen Präsidenten in die Pflicht. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Ich erwarte von Präsident Putin und den russischen Behörden, dass sie die Sicherheit und das Eigentum von Jüdinnen und Juden schützen.“ Es habe sich einmal mehr gezeigt, „dass Antisemitismus ein weltweites Problem ist, dem wir entsprechend international begegnen müssen“.

Die Nowaja Gaseta, eines der wenigen in Russland verbliebenen unabhängigen Medien, schreibt auf Telegram sogar, die jüdische Gemeinde in Dagestan würde eine Evakuierung der Juden aus der Region nicht ausschließen. „Die Situation in Dagestan ist sehr schwierig, die Mitglieder der Gemeinde haben Angst, sie rufen an, und ich weiß nicht, was ich ihnen raten soll“, sagte demnach Owadja Isakow, Oberrabbiner der Stadt Derbent.

Er wisse jedoch nicht, wohin die 300 bis 400 Familien aus der Stadt umgesiedelt werden können: „Lohnt es sich überhaupt zu gehen, denn Russland verspricht keine Rettung, auch in Russland gab es Pogrome. Es ist nicht klar, wohin man fliehen soll.“ Auch er selbst fühle sich in der Synagoge nicht sicher. (mg)

Rubriklistenbild: © IMAGO / ITAR-TASS

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