China im Ukraine-Krieg
„Danke für die Solidarität“: Darum geht Kiew auf Kuschelkurs mit Peking
VonSven Haubergschließen
Trotz des Ukraine-Kriegs hält China weiter fest zu Russland. Im Kiew nimmt man das hin – weil man hofft, dass Peking eine wichtige Rolle in dem Konflikt spielen könnte.
München/Kiew/Peking – Einen ukrainischen Botschafter gibt es derzeit nicht in China*. Serhii Kamyshev, der das Amt seit 2019 innehatte, verstarb im vergangenen Jahr im Alter von nur 64 Jahren; ein Nachfolger wurde bislang nicht bestimmt. Allzu bald dürfte das auch nicht geschehen. Denn der russische Angriffskrieg hat die Prioritäten der ukranischen Regierung verschoben, es geht jetzt ums blanke Überleben.
Klar aber ist: Dass Kiew einen Mann vom Schlage eines Andrij Melnyk, seines Zeichens Botschafter der Ukraine in Deutschland, nach Peking schicken könnte, erscheint ausgeschlossen. Während Melnyk seit Beginn des Kriegs bisweilen mit undiplomatischen Worten für Aufsehen sorgt, ist in Peking Fingerspitzengefühl gefragt. Melnyk etwa bezeichnete die deutsche Außenpolitik der Vergangenheit jüngst als „Katastrophe“. Auch warf er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einem Tagesspiegel-Interview* vor, das Verhältnis zu Russland anzusehen als „etwas Fundamentales, ja Heiliges, egal was geschieht“. Für Steinmeier ändere daran nicht einmal der Krieg etwas, so Melnyk – ein gnadenloseres Urteil ist kaum vorstellbar. Wenig später sagte die Ukraine einen geplanten Steinmeier-Besuch in Kiew ab*.
Nur einen Tag nach Melnyks Generalabrechnung mit dem deutschen Staatsoberhaupt sprach der ukrainische Premierminister Dmytro Kuleba mit seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi – und fand dabei völlig andere Worte als der Botschafter in Berlin. Laut chinesischem Außenministerium ging es in dem Telefonat vor allem um den Krieg gegen die Ukraine. Peking dränge auf Frieden, fördere Gespräche und wahre zudem „eine objektive und unparteiische Position“. Kuleba wiederum teilte nach dem Gespräch via Twitter mit, er sei Wang „für seine Solidarität mit den zivilen Opfern dankbar“. Die Ukraine und China, so Kuleba weiter, „teilen die Überzeugung, dass die Beendigung des Krieges gegen die Ukraine den gemeinsamen Interessen des Friedens, der globalen Ernährungssicherheit und des internationalen Handels dient“.
China: Vermittlerrolle im Ukraine-Krieg?
Kulebas Worte klangen fast so, als habe sie das chinesische Außenministerium verfasst. Dass China unverändert Russland als Partner betrachtet und sich weigert, Moskau für das Massaker in Butscha verantwortlich zu machen* – all das erwähnte Kuleba in dem Gespräch mit Wang Yi offenbar nicht.
Schon Anfang März, rund eine Woche nach Kriegsausbruch, hatten Kuleba und Wang telefoniert. Der Außenminister der Ukraine sprach damals von einer „konstruktiven Rolle“ Chinas in dem Konflikt, Kiew sehe außerdem „der Vermittlung Chinas zur Verwirklichung einer Feuerpause entgegen“. Ähnlich äußerten sich weitere Kiewer Politiker. Dawyd Arachamija, Mitglied der ukrainischen Delegation bei den Verhandlungen über einen Waffenstillstand, brachte China als Vermittler ebenso ins Spiel wie der Chef des ukrainischen Präsidialamtes, Andrij Jermak. Jermak sagte im März, die Ukraine wolle, dass China eine „deutlichere Rolle“ bei der Beendigung des Krieges spiele.
Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj* wünscht sich ein stärkeres Engagement Pekings. China solle einer der Sicherheitsgaranten einer Einigung mit Russland werden, sagte Selenskyj Anfang April zum Sender Fox News. Dabei bezog sich der Präsident auf die Idee, sein Land könne auf eine Nato-Mitgliedschaft verzichten und im Gegensatz von anderen Staaten Garantien für die eigene Sicherheit erhalten. Angesichts solcher Hoffnungen verwundert es nicht, dass Kiew auf Kuschelkurs mit Peking geht.
China: Von wegen „neutrale Position“
Aber wäre China überhaupt der geeignete Partner, um solche Garantien abzugeben? Präsidialamtsschef Jermak glaubt, dass Peking in dem Krieg eine „neutrale Position“ vertrete. Tatsächlich aber vermeidet es China bis heute, den russischen Überfall klar zu verurteilen. Nach dem Angriff auf einen Bahnhof in Kramatorsk mit 52 Toten* etwa sagte Chinas Außenamtssprecher Zhao Lijian lediglich, „die relevanten Umstände und spezifischen Ursachen des Vorfalls müssen überprüft und festgestellt werden“. Russland erwähnte er nicht. So geht das seit Wochen: China verurteilt Russlands Kriegsverbrechen, ohne Russland als Schuldigen zu benennen. Stattdessen behauptet Chinas Propagadamaschinerie*, die USA und die Nato trügen die Schuld an dem Krieg. Geichzeitig dringt Peking auf Frieden.
Es ist ein Spagat, der seine Ursache in Pekings geopolitischen Interessen hat. Auf der einen Seite benötigt China russische Rohstofflieferungen und hat ein großes Interesse an friedlichen Beziehungen zum Nachbarn im Norden. Andererseits benötigt Peking die USA und Europa als Absatzmärkte für seine Produkte.
„Die Ukraine-Krise* ist ein Test, bei dem China diese Interessen ausbalancieren muss“, schreibt der Analyst Alexander Gabuev von der US-Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace. „Und bisher scheint das auch ganz gut zu klappen.“ Außerdem profitiere China von dem Krieg. Denn die Sanktionen gegen Russland würden Moskau zu einem Partner machen, dem Peking seine eigenen Regeln diktieren könne - etwa beim Preis für russisches Gas. „Mit jeder Woche, die dieser schreckliche Krieg andauert, wächst Chinas Einfluss“, so Garbuev. „Warum also sollte es jetzt etwas für Russland tun, wenn die Belohnung in ein paar Monaten zehnmal größer sein wird?“
China: Noch kein Gespräch zwischen Xi und Selenskyj
Wie ein Land, das sich derart deutlich auf die Seite des Aggressors gestellt hat, als neutraler Vermittler auftreten soll, bleibt Kiews Geheimnis. In der Ukraine jedenfalls nimmt man den chinesischen Drahtseilakt hin, ohne auch nur einmal wirklich Kritik zu üben an der Position Pekings.
Mehr Klarheit könnte möglicherweise ein persönliches Gespräch zwischen Selenskyj und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping* geben. Doch während Xi in den letzten Tagen die Zeit fand, mit dem philippischen Präsidenten Duterte zu telefonieren und Glückwunschbotschaften mit dem armenischen Präsidenten auszutauschen, scheint er für ein Gespräch mit Selenskyj zu beschäftigt. Auch das nimmt man in Kiew ohne hörbares Murren hin. Die Hoffnung, dass China als wichtigster Verbündeter Russlands auf Wladimir Putin einwirken kann, ist offenbar größer als die Enttäuschung über Pekings Freundschaftsbekundungen zum Kreml. (sh) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.