„Grenzenlose“ Freundschaft mit Russland

Waffenhändler oder Friedensstifter: Wohin steuert China im Ukraine-Krieg?

  • Sven Hauberg
    VonSven Hauberg
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Die USA werfen China vor, die Lieferung von Waffen an Russland zu erwägen. Peking gibt sich hingegen neutral – mit starker Tendenz zum Kreml allerdings.

München/Peking – Wenn China vom Weltfrieden spricht, klingt das erstmal ganz wunderbar. „Um eine sicherere Welt zu schaffen, müssen wir alle darauf bestehen, die Souveränität und territoriale Integrität aller Länder zu respektieren“, sagte Wang Yi, Pekings oberster Diplomat, am vergangenen Samstag auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Ein Satz, den man mit Blick auf die Ukraine sofort unterschreiben möchte. Nur meint Wang eben nicht nur die Ukraine, sondern auch China und Taiwan: Den demokratisch regierten Inselstaat betrachtet Peking als Teil des chinesischen Staatsgebiets, der notfalls mit Gewalt ins eigene Territorium integrieren werden muss.

Was den Ukraine-Krieg angeht, kommen aus Peking seit rund einem Jahr die immer gleichen Beteuerungen, konkrete Taten aber lassen bislang auf sich warten: Ja, man müsse Frieden schaffen in der Ukraine, tönt es regelmäßig aus Chinas Außenministerium und von Staats- und Parteichef Xi Jinping. Kritik an Russland, an seinem Angriffskrieg und an den Gräueltaten in der Ukraine, vernimmt man aus Peking hingegen nicht. Stattdessen verharmlost China den Krieg als „Konflikt“, schiebt den USA und der Nato die Schuld an der Eskalation in die Schuhe und behauptet gleichzeitig, eigentlich gehe es China gar nichts an, was im fernen Europa geschehe.

China und Taiwan: Darum geht es in dem Konflikt

Taiwans F-16-Kampfjet (links) überwacht einen der beiden chinesischen H-6-Bomber, die den Bashi-Kanal südlich von Taiwan und die Miyako-Straße in der Nähe der japanischen Insel Okinawa überflogen.
Seit Jahrzehnten schon schwelt der Taiwan-Konflikt. Noch bleibt es bei Provokationen der Volksrepublik China; eines Tages aber könnte Peking Ernst machen und in Taiwan einmarschieren. Denn die chinesische Regierung hält die demokratisch regierte Insel für eine „abtrünnige Provinz“ und droht mit einer gewaltsamen „Wiedervereinigung“. Die Hintergründe des Konflikts reichen zurück bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. © Taiwan Ministry of Defence/AFP
Chinas letzter Kaiser Puyi
Im Jahr 1911 zerbricht das viele Jahrtausende alte chinesische Kaiserreich. Der letzte Kaiser Puyi (Bild) wird abgesetzt, die Xinhai-Revolution verändert China für immer. Doch der Weg in die Moderne ist steinig. Die Jahre nach der Republikgründung waren von Wirren und internen Konflikten geprägt.  © Imago
Porträt von Sun Yatsen auf dem Tiananmen-Platz in Peking
Im Jahr 1912 gründet Sun Yat-sen (Bild) die Republik China. Es folgen Jahre des Konflikts. 1921 gründeten Aktivisten in Shanghai die Kommunistische Partei, die zum erbitterten Gegner der Nationalisten (Guomindang) Suns wird. Unter seinem Nachfolger Chiang Kai-shek kommt es zum Bürgerkrieg mit den Kommunisten. Erst der Einmarsch Japans in China ab 1937 setzt den Kämpfen ein vorübergehendes Ende. © Imago
Mao Zedong ruft die Volksrepublik China aus
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Kapitulation Japans flammt der Bürgerkrieg wieder auf. Aus diesem gehen 1949 die Kommunisten als Sieger hervor. Mao Zedong ruft am 1. Oktober in Peking die Volksrepublik China aus (Bild).  © Imago Images
Chiang Kai-shek
Verlierer des Bürgerkriegs sind die Nationalisten um General Chiang Kai-shek (Bild). Sie fliehen 1949 auf die Insel Taiwan. Diese war von 1895 bis 1945 japanische Kolonie und nach der Niederlage der Japaner an China zurückgegeben worden. Auf Taiwan lebt seitdem die 1912 gegründete Republik China weiter. Viele Jahre lang träumt Chiang davon, das kommunistisch regierte Festland zurückzuerobern – während er zu Hause in Taiwan mit eiserner Hand als Diktator regiert. © Imago
Richard Nixon und Zhou Enlai 1972
Nach 1949 gibt es zwei Chinas: die 1949 gegründete Volksrepublik China und die Republik China auf Taiwan, die 1912 gegründet wurde. Über Jahre gilt die taiwanische Regierung als legitime Vertreterin Chinas. Doch in den 70er-Jahren wenden sich immer mehr Staaten von Taiwan ab und erkennen die kommunistische Volksrepublik offiziell an. 1972 verliert Taiwan auch seinen Sitz in den Vereinten Nationen, und Peking übernimmt. Auch die USA brechen mit Taiwan und erkennen 1979 – sieben Jahre nach Richard Nixons legendärem Peking-Besuch (Bild) – die Regierung in Peking an. Gleichzeitig verpflichten sie sich, Taiwan mit Waffenlieferungen zu unterstützen. © Imago/UIG
Chiang Ching-Kuo in Taipeh
Im Jahr 1975 stirbt Taiwans Dikator Chiang Kai-shek. Neuer Präsident wird drei Jahre später dessen Sohn Chiang Ching-kuo (Bild). Dieser öffnet Taiwan zur Welt und beginnt mit demokratischen Reformen. © imago stock&people
Chip made in Taiwan
Ab den 80er-Jahren erlebt Taiwan ein Wirtschaftswunder: „Made in Taiwan“ wird weltweit zum Inbegriff für günstige Waren aus Fernost. Im Laufe der Jahre wandelt sich das Land vom Produzenten billiger Produkte wie Plastikspielzeug zur Hightech-Nation. Heute hat in Taiwan einer der wichtigsten Halbleiter-Hersteller der Welt - das Unternehmen TSMC ist Weltmarktführer. © Torsten Becker/Imago
Tsai Ing-wen
Taiwan gilt heute als eines der gesellschaftlich liberalsten und demokratischsten Länder der Welt. In Demokratie-Ranglisten landet die Insel mit ihren knapp 24 Millionen Einwohnern immer wieder auf den vordersten Plätzen. Als bislang einziges Land in Asien führte Taiwan 2019 sogar die Ehe für alle ein. Regiert wurde das Land von 2016 bis 2024 von Präsidentin Tsai Ing-wen (Bild) von der Demokratischen Fortschrittspartei. Ihr folgte im Mai 2024 ihr Parteifreund Lai Ching-te. © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping
Obwohl Taiwan nie Teil der Volksrepublik China war, will Staats- und Parteichef Xi Jinping (Bild) die Insel gewaltsam eingliedern. Seit Jahrzehnten droht die kommunistische Führung mit der Anwendung von Gewalt. Die meisten Staaten der Welt – auch Deutschland und die USA – sehen Taiwan zwar als einen Teil von China an – betonen aber, dass eine „Wiedervereinigung“ nur friedlich vonstattengehen dürfe. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Die kommunistiche Diktatur Chinas ist für die meisten Taiwaner nicht attraktiv. © Dale de la Rey/AFP
Militärübung in Kaohsiung
Ob und wann China Ernst macht und in Taiwan einmarschiert, ist völlig offen. Es gibt Analysten, die mit einer Invasion bereits in den nächsten Jahren rechnen – etwa 2027, wenn sich die Gründung der Volksbefreiungsarmee zum 100. Mal jährt. Auch das Jahr 2049 – dann wird die Volksrepublik China 100 Jahre alt – wird genannt. Entscheidend dürfte sein, wie sicher sich China ist, einen Krieg auch zu gewinnen. Zahlenmäßig ist Pekings Armee der Volksrepublik den taiwanischen Streitkräften überlegen. Die Taiwaner sind dennoch gut vorbereitet. Jedes Jahr finden große Militärübungen statt; die Bevölkerung trainiert den Ernstfall, und die USA liefern Hightech-Waffen.  © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping auf einem chinesischen Kriegsschiff
Analysten halten es für ebenso möglich, dass China zunächst nicht zu einer Invasion Taiwans blasen wird, sondern mit gezielten Nadelstichen versuchen könnte, den Kampfgeist der Taiwaner zu schwächen. So könnte Xi Jinping (Bild) eine Seeblockade anordnen, um die Insel Taiwan vom Rest der Welt abzuschneiden. Auch ein massiver Cyberangriff wird für möglich gehalten.  © Li Gang/Xinhua/Imago
Protest in Taiwan
Auch wenn die Volksrepublik weiterhin auf eine friedliche „Wiedervereinigung“ mit Taiwan setzt: Danach sieht es derzeit nicht aus. Denn die meisten Taiwaner fühlen sich längst nicht mehr als Chinesen, sondern eben als Taiwaner. Für sie ist es eine Horrorvorstellung, Teil der kommunistischen Volksrepublik zu werden und ihre demokratischen Traditionen und Freiheiten opfern zu müssen. Vor allem das chinesische Vorgehen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong hat ihnen gezeigt, was passiert, wenn die Kommunistische Partei den Menschen ihre Freiheiten nimmt. © Ritchie B. Tongo/EPA/dpa

„Alles von Munition bis zu den Waffen selbst“: Unterstützt China Russland im Ukraine-Krieg?

„Einigen Kräften ist es vielleicht nicht recht, Friedensgespräche zu erleben“, raunte Wang Yi am Samstag. „Denen ist das Leid in Europa vielleicht egal, sie haben vielleicht strategische Ziele, die über die Ukraine hinausgehen.“ Glaubt man den USA, verhält es sich genau umgekehrt, ist es China, das vom Krieg profitiert und daran arbeitet, ihn zu verlängern. Peking unterstütze Russland „politisch und rhetorisch“, sagte US-Außenminister Antony Blinken am Sonntag in mehreren Fernsehinterviews. Was ihn aber noch mehr besorge: „dass China erwägt, Russland bei seiner Aggression gegen die Ukraine tödliche Unterstützung zukommen zu lassen“. Was Peking konkret liefern könnte? „Alles von Munition bis zu den Waffen selbst“, so Blinken.

Weitere Details nannte er zunächst nicht, auch ließ Blinken offen, woher diese Informationen stammen. In München warnte er im Gespräch mit Wang jedenfalls vor Konsequenzen, sollte China Ernst machen. In Peking wiederum wies Außenamtssprecher Wang Wenbin am Montag die Vorwürfe zurück; es seien „die USA und nicht China, die ständig Waffen auf das Schlachtfeld schicken“, sagte er. Allerdings gibt es bereits seit Längerem Anzeichen, dass staatliche chinesische Rüstungsunternehmen Güter nach Russland liefern, die auch militärisch genutzt werden könnten – ein Verstoß gegen US-Sanktionen, die China zwar nicht übernommen hat, offiziell aber auch nicht umgeht.

Zwischen sie passt kein Blatt Papier: Wladimir Putin und Xi Jinping 2018 in Wladiwostok.

China scheint bemüht, Russlands Kriegskassen zu füllen

Bislang lässt sich Chinas Haltung mit etwas Wohlwollen als „pro-russische Neutralität“ bezeichnen, weil das Land nicht aktiv ins Kriegsgeschehen eingreift. Waffenlieferungen aber wären ein weiterer Tabubruch und eine neue Eskalationsstufe in diesem Krieg, der vor nunmehr fast einem Jahr begann. Zudem scheint China bemüht, Russland Kriegskassen zu füllen. Medienberichten zufolge kaufte Peking im vergangenen Jahr große Mengen an russischem Rohöl, auch zu Zeiten, als die Marktpreise einen Höchststand erreicht hatten und die meisten anderen Länder sich nach Alternativen umsahen oder Preisdeckel einführten. „Diese Strategie war für China höchstwahrscheinlich höchst unrentabel, füllte aber die Kassen des Kreml“, schreiben die Analysten des „China-Russia Report“.

Trotz seiner offensichtlichen Unterstützung für Russland – wenige Tage vor Kriegsbeginn versicherten sich beide Länder ihrer „grenzenlosen“ Partnerschaft, mit dem Ziel, die Dominanz der USA zu brechen – scheint Peking zu glauben, als ehrlicher Makler bei einem möglichen Friedensdeal zwischen Moskau und Kiew auftreten zu können. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz kündigte Top-Diplomat Wang Yi eine Art Friedensinitiative an: „Wir werden etwas vorlegen. Und zwar die chinesische Position zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise“, sagt er, ohne Details zu nennen. Am kommenden Freitag, pünktlich zum Jahrestag des russischen Einmarschs, will sich angeblich Xi Jinping mit einer „Friedensrede“ zu Wort melden. Ein konkreter „Friedensplan“ jedenfalls dürfte aus Peking kaum kommen, dafür wohl warme, aber unverbindliche Worte. China kann dann behaupten, es zumindest versucht zu haben mit dem Frieden in Europa.

Zunächst aber wird Wang in Kürze im Kreml erwartet – zu einem Treffen mit Sergej Lawrow, seinem „alten Freund“, wie er den russischen Außenminister gerne nennt. Ob er auch mit Wladimir Putin zusammenkommen wird, war zunächst nicht bekannt. Nicht auf Wangs Agenda steht jedenfalls ein Abstecher nach Kiew. Kein Wunder: Nach allem, was man weiß, hat es Staatschef Xi Jinping in den vergangenen zwölf Monaten nicht für nötig gehalten, bei seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj auch nur anzurufen.

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