Luftbild eines Öltankers im Hafen von Qingdao der chinesischen Provinz Shandong
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Tanker im Ölhafen von Qingdao in der chinesischen Provinz Shandong: Raffinerien der Provinz nehmen vermehrt russisches Rohöl ab.

Ukraine-Krieg

Saftige Preisnachlässe: Russland nun größter Erdöl-Lieferant für China

  • Christiane Kühl
    VonChristiane Kühl
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Russlands Erdölexperte sind schon wieder auf Vorkriegsniveau. Bedanken darf sich Moskau dafür unter anderem bei China. Die Volksrepublik bestellt inzwischen viel mehr Rohöl als vor dem Ukraine-Krieg.

Peking/München – Russland und China bauen ihre Rohstoffpartnerschaft im Ukraine-Krieg offenbar weiter aus. Russland ist im Mai zum größten Rohöl-Lieferanten Chinas aufgestiegen. Im Mai verkaufte Moskau nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters so viel Öl an die Volksrepublik wie noch nie zuvor. China importierte demnach im vergangenen Monat knapp zwei Millionen Barrel pro Tag und damit 55 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Umgekehrt ist China schon länger der größte Abnehmer russischen Erdöls. Im Frühjahr, also kurz nach Kriegsbeginn, hatte Moskau noch 1,6 Millionen Barrel am Tag nach China geschickt – davon jeweils die Hälfe mit Tankern und über Ölpipelines.

China hat sich also nach anfänglicher Zurückhaltung nun offenbar doch entschieden, mit Russland über zusätzliche Öllieferungen zu verhandeln – und zwar zu saftigen Preisnachlässen. Diese gewährt Moskau all jenen Ländern, die ihm trotz des Angriffskrieges in der Ukraine weiter Rohstoffe wie Öl und Gas abkaufen. Neben China beziehen vor allem Indien, aber auch die Türkei und einige afrikanische Staaten russisches Öl zu Discountpreisen. 

China kaufe russisches Rohöl mit 35 Prozent Rabatt zum aktuellen Weltmarktpreis, berichtete Bloomberg kürzlich unter Berufung auf EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis. „Was wir sehen, ist, dass China aus dieser Situation der Schwäche Russlands einen guten Vorteil ziehen wird“, so Dombrovskis. Für Russland werde das weniger vorteilhaft sein. Reuters berichtet über frische Ölverträge durch verschiedene Raffinerien, unterschrieben stillschweigend hinter den Kulissen. Chinesische Raffinerien erkundigen sich demnach bereits seit März nach möglichen zusätzlichen Lieferungen – und zwar nicht nur staatliche Großkonzerne wie Sinopec, sondern auch unabhängige kleinere Raffinerien in der ostchinesischen Küstenprovinz Shandong, einer Hochburg des Rohstoffsektors und der Schwerindustrie.

China und Indien stehen für Ölkäufe aus Russland bereit – zu Sonderpreisen im Ukraine-Krieg

Die USA haben wegen der Invasion bereits ein Embargo gegen russisches Erdöl verhängt, und auch die EU will die Einfuhren um 90 Prozent reduzieren. Noch aber kauft Europa Öl aus Russland; gegen Sanktionen verstoßen China, Indien und die anderen also nicht. Doch sie helfen Russland damit, Verluste durch die westlichen Boykotte auszugleichen, und unterlaufen damit de facto die Embargos – mit einem schönen Nutzen für sich selbst.

Denn da der Weltmarktpreis für Rohöl infolge der Embargos so stark gestiegen ist, kann Russland es sich leisten, freundschaftlich gesonnenen Staaten große Rabatte zu gewähren. Russland verkauft sein Öl immer noch zu umgerechnet rund 70 US-Dollar das Fass (Barrel) – mehr als vor dem Krieg, aber deutlich unter dem aktuellen Preis für Rohöl der Sorte Brent von rund 113 US-Dollar pro Fass.

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Nach russischen Angaben liegt das Exportvolumen nach anfänglichen Einbrüchen infolge des US-Embargos schon wieder auf Vorkriegsniveau. Russland werde sein Öl eben auf andere Märkte lenken, von wo aus die EU-Staaten es dann teurer einkaufen würden, sagte Vize-Regierungschef Alexander Nowak im Mai auf einer Veranstaltung. Solche Ansagen nährten den Verdacht mancher Experten, dass zum Beispiel China eine solche Umschlagstelle für weiterverkauftes russisches Öl werden könnte – auch wenn konkrete Hinweise darauf bisher fehlen. 

Im Ukraine-Krieg: Will China Öl aus Russland weiterverkaufen?

Technisch ist es zwar relativ unkompliziert, Lieferungen per Tanker umzuleiten – anders als bei Pipeline-Öl. Doch der Transport ist nicht das einzige Problem in dem Geschäft. Ölraffinerien sind oft darauf ausgelegt, bestimmte Arten von Rohöl zu verarbeiten, und können diese in der Regel nicht binnen kurzer Zeit einfach auswechseln. Auch ziehen sich immer mehr westliche Rohstoffhändler, die bisher russisches Rohöl vermittelt haben, aus dem Geschäft zurück. Für einen etwaigen Weiterverkauf aber bräuchte China Akteure, die bereit sind, russisches Öl anzufassen. Bloomberg nennt unter Berufung auf Hafenagenturen mehrere kleinere Firmen, die seit Kriegsbeginn auf den Plan getreten sind. Litasco SA, eine Einheit des in Moskau ansässigen Produzenten Lukoil ist demnach beispielsweise zum größten Abfertiger der russischen Rohölsorte Ural geworden. 

Doch ob China überhaupt zur Drehscheibe eines Weiterverkaufs russischen Öls werden will, ist völlig unklar. Anstatt das russische Öl auf die Weltmärkte sickern zu lassen, baue China damit vielmehr seine eigenen Onshore-Lagertanks für zukünftige Notfälle auf, schreibt etwa die US-Zeitung Washington Post

Auch stellen manche Experten den plötzlichen Anstieg infrage: Die Daten seien eigentlich völlig unklar. Der China-Experte Lauri Myllyvirta vom Centre for Research on Energy and Clean Air in Helsinki etwa beobachtete einen graduellen Anstieg seit Februar und vermutet, dass manche Lieferungen erst jetzt offiziell aufgeführt werden. Eine dramatische Steigerung russischer Ölimporte erwartet Myllyvirta nicht. „China kauft bereits im Wesentlichen schon jetzt so viel, wie Russland über Pipelines in den Pazifik und direkt nach China liefern kann“, schrieb er am Montag auf Twitter.

China: Ölkäufe aus Russland nicht an die große Glocke hängen

China will die Ölkäufe in Moskau offenbar nicht an die große Glocke hängen, obwohl derzeit deswegen keine Sekundärsanktionen drohen. Im Gegensatz zu Indiens staatlichen Ölraffinerien, die sich mithilfe öffentlicher Ausschreibungen unter anderem Russlands Ural-Rohöl besorgten, agierten Chinas Staatskonzerne aber möglichst unter dem Radar, so Bloomberg unter Berufung auf Händler. Möglicherweise probt China auch auf diesem Feld den Spagat zwischen der Unterstützung Moskaus und scheinbarer Neutralität. 

Dass China wirklich neutral ist, glaubt allerdings ohnehin kaum jemand. Staats- und Parteichef Xi Jinping sicherte Russland erst vergangene Woche in einem Telefonat mit seinem Amtskollegen Wladimir Putin erneut seine Unterstützung zu – nach offiziellen Angaben unter anderem „in Fragen, die mit Kerninteressen und wichtigen Anliegen wie Souveränität und Sicherheit zusammenhängen“. Auch will Xi weiter normal mit Russland zusammenarbeiten. Kritik an der russischen Invasion oder an Gräueltaten russischer Soldaten in der Ukraine ist von dem Gespräch nicht überliefert. (ck)