Analyse

Chinas Manöver im Ukraine-Krieg: Peking geht es nicht um Russland – sondern um sich selbst

  • Michael Radunski
    VonMichael Radunski
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Wendet sich Peking von Russland ab? Wohl kaum. China wird seinen Partner Russland nicht so schnell aufgeben. Vielmehr verfolgt Peking seine eigenen Ziele.

Peking – Die Bewertung der Gespräche in Saudi-Arabien über ein Ende des russischen Angriffskriegs in der Ukraine fallen zu Wochenbeginn überraschend positiv aus. Zwar gaben die 40 Staaten keine gemeinsame Abschlusserklärung ab, aber vor allem die Teilnahme Chinas an den Verhandlungen wird vielerorts als Erfolg verbucht.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba bezeichnet das Erscheinen von Chinas Sondergesandten für eurasische Angelegenheiten Li Hui als „erheblichen Durchbruch“. Ein europäischer Diplomat lobt in der Zeitung Financial Times, China sei „konstruktiv aufgetreten“ und „darauf bedacht zu zeigen, dass [es] nicht Russland ist“. Seine Schlussfolgerung daraus: „Die bloße Präsenz Chinas zeigt, dass Russland immer isolierter wird.“

Xi Jinping und Wladimir Putin im März in Moskau.

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Chinas Unzufriedenheit mit Russland wächst

In der Tat hat sich China in dieser Hinsicht bewegt. Als im Sommer in Kopenhagen ähnliche Gespräche stattfanden, wollte Peking damals nicht teilnehmen. Seither hat Pekings Unzufriedenheit mit Moskau zugenommen: Die Geschehnisse auf den Schlachtfeldern entwickeln sich immer mehr zuungunsten Russlands und das nicht verlängerte Getreideabkommen trifft vor allem China als größtem Abnehmer von ukrainischem Weizen.

Aber außer seiner Teilnahme hat China in Dschidda nichts Neues auf den Tisch gelegt. Li Hui hat nochmals Chinas Friedensplan referiert und seinen Respekt für die Prinzipien der UN-Charta ausgedrückt. „Das ist alles bekannt, bringt allerdings keinerlei greifbare Veränderungen“, sagt Alexander Gabuev zu Table.Media. Der Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center weist darauf hin, dass die Gesprächsteilnehmer in Dschidda kritische Themen schlicht gemieden hätten, wie beispielsweise russische Truppen auf ukrainischem Gebiet. So findet man Konsens ohne Substanz.

Chinas Staats- und Parteichef: So stieg Xi Jinping zum mächtigsten Mann der Welt auf

Chinas heutiger Staatschef Xi Jinping (2. von links) mit anderen Jugendlichen im Mao-Anzug
Xi Jinping wurde am 15. Juni 1953 in Peking geboren. Als Sohn eines Vize-Ministerpräsidenten wuchs er sehr privilegiert auf. Doch in der Kulturrevolution wurde er wie alle Jugendlichen zur Landarbeit aufs Dorf geschickt. Das Foto zeigt ihn (zweiter von links) 1973 mit anderen jungen Männer in Yanchuan in der nordwestlichen Provinz Shaanxi. Dort soll Xi zeitweise wie die Einheimischen in einer Wohnhöhle gelebt haben. © imago stock&people
Xi Jinping steht vor der Golden Gate Bridge in San Francisco
Xi Jinping 1985 vor der Golden Gate Bridge in San Francisco: Damals war er als junger Parteichef des Landkreises Zhengding in der nordchinesischen Agrarprovinz Hebei Delegationsleiter einer landwirtschaftlichen Studienreise nach Muscatine im US-Bundesstaat Iowa. Dort nahm die Gruppe nach offiziellen Berichten „jeden Aspekt der modernen Landwirtschaft unter die Lupe“. Anschließend reiste Xi weiter nach Kalifornien. Es war sein erster USA-Besuch. © imago stock&people
Xi Jingping und Peng Liyuan
Zweites Eheglück: Xi Jinping und seine heutige Ehefrau, die Sängerin Peng Liyuan, Anfang 1989. Zu dieser Zeit war Xi Vizebürgermeister der ostchinesischen Hafenstadt Xiamen. Die beiden haben eine gemeinsame Tochter. Xis erste Ehe war nach nur drei Jahren an unterschiedlichen Lebenszielen gescheitert. Seine erste Frau, die Diplomatentochter Ke Lingling, zog in den 1980er-Jahren nach Großbritannien. © imago
Xi Jinping gräbt mit Parteikollegen an einem Damm zur Verstärkung eines Deiches in Fujian
Aufstieg über die wirtschaftlich boomenden Küstenregionen: 1995 war Xi Jinping bereits stellvertretender Parteichef der Taiwan gegenüberliegenden Provinz Fujian – und noch ganz volksnah. Im Dezember 1995 arbeitet er mit an der Verstärkung eines Deiches am Minjiang-Fluss. © Imago/Xinhua
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt Chinas Vizepräsident Xi Jinping das Regierungsviertel in Berlin
Vizepräsident Xi Jinping 2009 im Kanzleramt bei Angela Merkel: Die deutsch-chinesischen Beziehungen waren unter Merkel relativ eng und von wirtschaftlicher Zusammenarbeit geprägt. Merkel und Xi reisten aus Berlin weiter nach Frankfurt, um die dortige Buchmesse zu eröffnen. China war als Ehrengast geladen. © GUIDO BERGMANN/Pool/Bundesregierung/AFP
Die Vizepräsidenten Xi Jinping aus China und Joe Biden aus den USA halten T-Shirts mit einer Freundschaftsbekundung in die Kamera
Ein Bild aus besseren Zeiten: Aus ihrer jeweiligen Zeit als Vizepräsidenten kamen Joe Biden und Xi Jinping mehrmals zusammen. Im Februar 2012 demonstrierten sie bei einer Reise Xis nach Los Angeles in einer Schule „guten Willen“ zur Freundschaft mit T-Shirts, die ihnen die Schüler überreicht hatten. Damals fehlten Xi nur noch wenige Monate, um ganz an die Spitze der Kommunistischen Partei aufzusteigen. © FREDERIC J. BROWN/AFP
Ein alter Mann in Shanghai schaut auf Xi bei seiner ersten Rede als Parteichef im Fernseher.
Xi Jinping hat es geschafft: Zum Ende des 18. Parteitags am 15. November 2012 wurde Xi als neuer Generalsekretär der Kommunisten präsentiert – und ganz China schaute zu. Xi gelobte in seiner ersten kurzen Rede als Parteichef, die Korruption zu bekämpfen und ein „besseres Leben“ für die damals 1,3 Milliarden Menschen des Landes aufzubauen.  © PETER PARKS/AFP
Der neue Staatschef Xi Jinping geht hinter seinem Vorgänger Hu Jintao zu seinem Platz in der Großen Halle des Volkes in Peking.
Übernahme auch des obersten Staatsamtes: Xi Jinping wurde auf dem Nationalen Volkskongress im März 2013 Präsident und schloß damit den Übergang von seinem Vorgänger Hu Jintao (vorn im Bild) zur Xi-Ära ab. © GOH CHAI HIN/AFP
Chinas Präsident und seine Ehefrau Peng Liyuan gehen über den Flughafen Orly in Paris.
Xi Jinpings Ehefrau Peng Liyuan ist die erste First Lady Chinas, die auch öffentlich in Erscheinung tritt. Hier kommt das Ehepaar zu einem Staatsbesuch in Frankreich an. Die Gattinnen von Xis Vorgängern hatten sich nie ins Rampenlicht gedrängt. Vielleicht auch, weil Maos politisch aktive dritte Ehefrau Jiang Qing nach dem Tod des „Großen Vorsitzenden“ als Radikale verurteilt worden war. © YOAN VALAT/Pool/AFP
Funktionäre der Kommunistischen Partei Chinas auf dem Weg zum Parteitag in Peking
So sehen KP-Funktionäre aus: Delegierte des 19. Parteitags auf dem Weg zur Großen Halle des Volkes in Peking im Oktober 2017. Auf diesem Parteitag gelang es dem Staats- und Parteichef, seine „Xi Jinping-Gedanken zum Sozialismus Chinesischer Prägung in der Neuen Ära“ in die Parteiverfassung aufzunehmen. Er war der erste nach Mao, der zu Lebzeiten in der Verfassung eine Theorie mit seinem Namen platzieren konnte. Einen Kronprinzen präsentierte Xi auf dem Parteitag nicht – entgegen den normalen Gepflogenheiten. © GREG BAKER/AFP
Xi Jinping nimmt in einer Staatslimousine „Rote Fahne“ die Parade zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China ab.
70 Jahre Volksrepublik China: Staatschef Xi Jinping nahm 2019 in einer offenen Staatslimousine Marke „Rote Fahne“ die Militärparade in Peking zum Jahrestag der Staatsgründung ab. © GREG BAKER/AFP
Wirtschaftsforum in Wladiwostok
Xi Jinping pflegt eine offene Freundschaft zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin – bis heute, trotz des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Putin und Xi teilen die Abneigung gegen die von den USA dominierte Weltordnung. Hier stoßen sie 2018 bei einem gemeinsamen Essen auf dem Wirtschaftsforum von Wladiwostok, auf dem sich Russland als Handelspartner und Investitionsziel im asiatischen Raum präsentierte, miteinander an. © Sergei Bobylev/POOL TASS Host Photo Agency/dpa
Xi Jinping besucht im weißen Kittel ein Labor und lässt sich die Impfstoffentwicklung erklären
Ende 2019 brach in China die Corona-Pandemie aus. Im April 2020 informierte sich Xi Jinping in einem Labor in Peking über die Fortschritte bei der Impfstoffentwicklung. Xi ist bis heute überzeugt, dass China die Pandemie besser im Griff hat als der Rest der Welt. Seine Null-Covid-Politik beendet er nicht, wohl auch wegen der viel zu niedrigen Impfquote unter alten Menschen. © Ding Haitao/Imago/Xinhua
Xi Jinpings Konterfei lächelt von einem Teller mit rotem Hintergrund
Auf dem 20. Parteitag im Oktober 2022 ließ sich Xi Jinping zum dritten Mal zum Generalsekretär der Kommunisten ernennen. Damit ist er der mächtigste Parteichef seit Mao Zedong. © Artur Widak/Imago

Chinas geht es im Ukraine-Krieg auch ums eigene Ansehen

Und so ist denn auch die Hoffnung auf eine Abkehr Chinas von seinem Partner Russland mehr Wunschdenken als Realität. Der bilaterale Handel wächst in immer neue Höhen, zudem verstärken China und Russland ihre militärische Zusammenarbeit, zuletzt durch große gemeinsame Übungen der See- und Luftstreitkräfte vor Alaska.

Li Huis Reise nach Dschidda ist vielmehr ein chinesisches Manöver. Denn China hat am Wochenende in Saudi-Arabien vor allem seine eigenen Interessen verfolgt.

Peking will:

  • sich als aktive und verantwortungsvolle Friedensmacht präsentieren,
  • seine Beziehungen in die Golf-Region und den Nahen Osten stärken,
  • den Einfluss der USA zurückdrängen.

China, eine verantwortungsvolle Friedensmacht?

Was China vor allem will, lässt sich in der Erklärung des chinesischen Außenministeriums in Peking gut erkennen. Dort hieß es am Montag: „Alle Parteien äußerten sich positiv zu Li Huis Anwesenheit und unterstützten voll und ganz Chinas positive Rolle bei der Erleichterung von Friedensgesprächen.“ Li habe umfangreiche Gespräche geführt und „den internationalen Konsens gefestigt“. China werde den Dialog auf der Grundlage seines 12-Punkte-Friedensvorschlags weiter stärken und „gegenseitiges Vertrauen aufbauen“.

Zuletzt hatten die USA und Europa diplomatisch ihren Druck auf China erhöht. China solle seiner Verantwortung als Vetomacht im UN-Sicherheitsrat und selbsternannter globaler Sicherheitsakteur gerecht werden. Vor allem die Kritik aus Europa ist dabei für China von Bedeutung: Peking will diesen wichtigen Partner im Ringen mit den USA nicht verlieren. 

Chinas Einfluss im Nahen Osten wächst

Ein weiteres Ziel hinter Chinas Teilnahme in Dschidda ist: Peking will seinen Einfluss im Nahen Osten weiter ausbauen. So hat China vor einigen Monaten ein Abkommen zwischen Iran und Saudi-Arabien vermittelt. Beide Länder liefern große Mengen Öl, was Peking hilft, seinen Energiebedarf zu diversifizieren – zu den ohnehin sehr günstigen Gaslieferungen aus Russland. Die Golf-Staaten gelten als wichtige Partner der chinesischen „Belt-and-Road“-Initiative (BRI).

Der iranische Militärberater Generalmajor Yahya Rahim Safavi hofft gar, die „post-amerikanische Ära am Persischen Golf hat begonnen.“ Ganz so weit ist es noch nicht. Der US-Fernsehsender CNN stellte jedoch unlängst fest: „China hat die Prämisse der amerikanischen Dominanz im Mittleren Osten zerschlagen.“

China will den Einfluss Amerikas zurückdrängen

Einer der wichtigsten Partner für China hierbei ist Saudi-Arabien. Der einst so enge Partner der USA hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr von Washington entfernt. Diese Entfremdung will China zu seinen Gunsten nutzen. Wohl auch deshalb hat Saudi-Arabien inzwischen den Status eines Dialogpartners in der Shanghai Cooperation Organization (SCO) erhalten – einem Paradebeispiel dafür, wie China alternative Strukturen zu westlich dominierten Institutionen errichtet.

Ähnlich sieht es Gabuev: „Es wäre diplomatisch ein großer Fehler von China gewesen, nicht an den Gesprächen mit vierzig anderen Staaten teilzunehmen“, sagt der China-Russland-Experte zu Table.Media. „Ich sehe allerdings keine Anzeichen dafür, dass sich Pekings unverbindliche Teilnahme in Dschidda in konkreten Maßnahmen niederschlagen wird, zum Beispiel Druck auf Russland ausüben, um den Krieg so zu beenden, wie es der Westen und Kiew erhoffen.“

Und so feiern sich Saudi-Arabien als neuer Vermittler und China als verantwortungsvoller Akteur, während die westlichen Staaten sich an ihre Hoffnung klammern. Doch: China wird nur etwas Substanzielles unternehmen, wenn es dafür auch etwas angeboten bekommt.

Rubriklistenbild: © Grigory Sysoev/Imago