Analyse
Chinas Manöver im Ukraine-Krieg: Peking geht es nicht um Russland – sondern um sich selbst
VonMichael Radunskischließen
Wendet sich Peking von Russland ab? Wohl kaum. China wird seinen Partner Russland nicht so schnell aufgeben. Vielmehr verfolgt Peking seine eigenen Ziele.
Peking – Die Bewertung der Gespräche in Saudi-Arabien über ein Ende des russischen Angriffskriegs in der Ukraine fallen zu Wochenbeginn überraschend positiv aus. Zwar gaben die 40 Staaten keine gemeinsame Abschlusserklärung ab, aber vor allem die Teilnahme Chinas an den Verhandlungen wird vielerorts als Erfolg verbucht.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba bezeichnet das Erscheinen von Chinas Sondergesandten für eurasische Angelegenheiten Li Hui als „erheblichen Durchbruch“. Ein europäischer Diplomat lobt in der Zeitung Financial Times, China sei „konstruktiv aufgetreten“ und „darauf bedacht zu zeigen, dass [es] nicht Russland ist“. Seine Schlussfolgerung daraus: „Die bloße Präsenz Chinas zeigt, dass Russland immer isolierter wird.“
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Diese Analyse liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte sie China.Table am 8. August 2023.
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Chinas Unzufriedenheit mit Russland wächst
In der Tat hat sich China in dieser Hinsicht bewegt. Als im Sommer in Kopenhagen ähnliche Gespräche stattfanden, wollte Peking damals nicht teilnehmen. Seither hat Pekings Unzufriedenheit mit Moskau zugenommen: Die Geschehnisse auf den Schlachtfeldern entwickeln sich immer mehr zuungunsten Russlands und das nicht verlängerte Getreideabkommen trifft vor allem China als größtem Abnehmer von ukrainischem Weizen.
Aber außer seiner Teilnahme hat China in Dschidda nichts Neues auf den Tisch gelegt. Li Hui hat nochmals Chinas Friedensplan referiert und seinen Respekt für die Prinzipien der UN-Charta ausgedrückt. „Das ist alles bekannt, bringt allerdings keinerlei greifbare Veränderungen“, sagt Alexander Gabuev zu Table.Media. Der Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center weist darauf hin, dass die Gesprächsteilnehmer in Dschidda kritische Themen schlicht gemieden hätten, wie beispielsweise russische Truppen auf ukrainischem Gebiet. So findet man Konsens ohne Substanz.
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Chinas geht es im Ukraine-Krieg auch ums eigene Ansehen
Und so ist denn auch die Hoffnung auf eine Abkehr Chinas von seinem Partner Russland mehr Wunschdenken als Realität. Der bilaterale Handel wächst in immer neue Höhen, zudem verstärken China und Russland ihre militärische Zusammenarbeit, zuletzt durch große gemeinsame Übungen der See- und Luftstreitkräfte vor Alaska.
Li Huis Reise nach Dschidda ist vielmehr ein chinesisches Manöver. Denn China hat am Wochenende in Saudi-Arabien vor allem seine eigenen Interessen verfolgt.
Peking will:
- sich als aktive und verantwortungsvolle Friedensmacht präsentieren,
- seine Beziehungen in die Golf-Region und den Nahen Osten stärken,
- den Einfluss der USA zurückdrängen.
China, eine verantwortungsvolle Friedensmacht?
Was China vor allem will, lässt sich in der Erklärung des chinesischen Außenministeriums in Peking gut erkennen. Dort hieß es am Montag: „Alle Parteien äußerten sich positiv zu Li Huis Anwesenheit und unterstützten voll und ganz Chinas positive Rolle bei der Erleichterung von Friedensgesprächen.“ Li habe umfangreiche Gespräche geführt und „den internationalen Konsens gefestigt“. China werde den Dialog auf der Grundlage seines 12-Punkte-Friedensvorschlags weiter stärken und „gegenseitiges Vertrauen aufbauen“.
Zuletzt hatten die USA und Europa diplomatisch ihren Druck auf China erhöht. China solle seiner Verantwortung als Vetomacht im UN-Sicherheitsrat und selbsternannter globaler Sicherheitsakteur gerecht werden. Vor allem die Kritik aus Europa ist dabei für China von Bedeutung: Peking will diesen wichtigen Partner im Ringen mit den USA nicht verlieren.
Chinas Einfluss im Nahen Osten wächst
Ein weiteres Ziel hinter Chinas Teilnahme in Dschidda ist: Peking will seinen Einfluss im Nahen Osten weiter ausbauen. So hat China vor einigen Monaten ein Abkommen zwischen Iran und Saudi-Arabien vermittelt. Beide Länder liefern große Mengen Öl, was Peking hilft, seinen Energiebedarf zu diversifizieren – zu den ohnehin sehr günstigen Gaslieferungen aus Russland. Die Golf-Staaten gelten als wichtige Partner der chinesischen „Belt-and-Road“-Initiative (BRI).
Der iranische Militärberater Generalmajor Yahya Rahim Safavi hofft gar, die „post-amerikanische Ära am Persischen Golf hat begonnen.“ Ganz so weit ist es noch nicht. Der US-Fernsehsender CNN stellte jedoch unlängst fest: „China hat die Prämisse der amerikanischen Dominanz im Mittleren Osten zerschlagen.“
China will den Einfluss Amerikas zurückdrängen
Einer der wichtigsten Partner für China hierbei ist Saudi-Arabien. Der einst so enge Partner der USA hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr von Washington entfernt. Diese Entfremdung will China zu seinen Gunsten nutzen. Wohl auch deshalb hat Saudi-Arabien inzwischen den Status eines Dialogpartners in der Shanghai Cooperation Organization (SCO) erhalten – einem Paradebeispiel dafür, wie China alternative Strukturen zu westlich dominierten Institutionen errichtet.
Ähnlich sieht es Gabuev: „Es wäre diplomatisch ein großer Fehler von China gewesen, nicht an den Gesprächen mit vierzig anderen Staaten teilzunehmen“, sagt der China-Russland-Experte zu Table.Media. „Ich sehe allerdings keine Anzeichen dafür, dass sich Pekings unverbindliche Teilnahme in Dschidda in konkreten Maßnahmen niederschlagen wird, zum Beispiel Druck auf Russland ausüben, um den Krieg so zu beenden, wie es der Westen und Kiew erhoffen.“
Und so feiern sich Saudi-Arabien als neuer Vermittler und China als verantwortungsvoller Akteur, während die westlichen Staaten sich an ihre Hoffnung klammern. Doch: China wird nur etwas Substanzielles unternehmen, wenn es dafür auch etwas angeboten bekommt.
Rubriklistenbild: © Grigory Sysoev/Imago
