Machtdemonstration von Xi Jinping?

Ex-Staatschef wird abgeführt: Parteitag von Chinas Kommunisten endet mit Eklat

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    VonChristiane Kühl
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Chinas Ex-Staatschef Hu Jintao wird zum Ende des Parteitags der Kommunisten überraschend aus dem Saal geführt – vor den Augen der Welt. Eine Machtdemonstration des starken Mannes Xi Jinping?

München/Peking – Der 20. Parteitag von Chinas Kommunistischer Partei ist am Samstag (22. Oktober) mit unschönen Szenen zu Ende gegangen. Wie auf Videoaufnahmen zu sehen ist, wurde Hu Jintao, der Vorgänger von Staats- und Parteichef Xi Jinping, kurz vor den Abstimmungen über die Änderung der Verfassung aus dem Saal geführt. Zwei Saalordner eskortieren den 79-jährigen Hu offenbar gegen dessen Willen hinaus. Kurz zuvor waren Kameras in den Saal gelassen worden, sodass alles vor Augen der Öffentlichkeit stattfand. Hu wandte sich beim Gehen noch einmal zu Xi und sprach ein paar Worte, lehnte sogar seine Hand an die Schulter des Parteichefs. Hu Jintao war von 2002 bis 2012 Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh).

Chinas Ex-Staatschef Hu Jintao wird zum Abschluss des Parteitags der Kommunisten überraschend vor Augen der Weltöffentlichkeit aus dem Saal geführt. Hier wirft er seinem Nachfolger Xi Jinping noch ein paar Worte zu.

Einen derartigen Vorfall hat es auf einem Parteitag von Chinas Kommunisten noch nie gegeben, schon gar nicht vor den Augen der Welt. Die ehemaligen Parteichefs galten bislang als unantastbar. Ob Xi die Entfernung von Hu aus dem Saal als öffentliche Machtdemonstration geplant hat, ist unbekannt. Denkbar ist es: Die Parteitage von Chinas Kommunisten, die nur alle fünf Jahre stattfinden, sind in der Regel streng orchestriert, nichts wird dem Zufall überlassen. Normalerweise aber finden in der Kommunistischen Partei alle Machtkämpfe hinter verschlossenen Türen statt. Möglich erscheint daher auch, dass Hu, der im Dezember 80 Jahre alt wird und auf den Aufnahmen gebrechlich wirkt, den Saal aufgrund eines gesundheitlichen Notfalls verlassen musste, den er selbst nicht einsehen wollte. Im Netz kursierten zudem Gerüchte, Hu sei positiv auf das Coronavirus getestet worden. Auch Experten betonten am Samstag zunächst, man könne nur spekulieren. Niemand weiß etwas.

Parteitag von Chinas Kommunisten: Xi Jinping wird sich dritte Amtszeit sichern

Xi wirkt auf den Aufnahmen zunächst teilnahmslos, scheint die Entfernung von Hu dann aber offenbar mit einem Nicken zu bestätigen. Auch vom dem neben Xi sitzenden Ministerpräsidenten Li Keqiang scheint Hu sich zu verabschieden. Es ist bekannt, dass Hu Jintao nicht unbedingt ein Unterstützer seines Nachfolgers Xi Jinping ist. Umgekehrt soll Xi bei seinem Machtantritt 2012 verärgert über Ineffizienz und Reformstau in der Hu-Ära gewesen sein. Li Keqiang dagegen ist ein Protegé Hus: Der Ex-Staatschef hatte dafür gesorgt, dass Li an der Regierungsspitze steht. Auch das Verhältnis zwischen Xi und Li gilt als angespannt.

Nachdem Hu den Saal verlassen hatte, wurde der Parteitag, der seit vergangenem Sonntag zumeist hinter verschlossenen Türen getagt hatte, in gewohnter Weise beendet. So wurde das neue Zentralkomitee (ZK) der KPCh vorgestellt. Dem ZK gehören 205 Mitglieder an, darunter nur elf Frauen. Am morgigen Sonntag kommt das ZK zu seiner ersten Plenartagung zusammen, um das neue Politbüro und dessen voraussichtlich siebenköpfigen Ständigen Ausschuss – Chinas Machtzentrale – zu bestimmen. Als sicher gilt, dass Xi Jinping dem Zentralkomitee erneut als Generalsekretär vorstehen wird. Xi wäre dann der erste Staats- und Parteichef seit Staatsgründer Mao Zedong, der länger als zwei Amtszeiten im Amt bliebe. Erwartet wird zudem, dass Xi im kommenden März zum dritten Mal als Staatspräsident ernannt wird. Dafür hatte er 2018 eigens die Verfassung ändern lassen.

Chinas Staats- und Parteichef: So stieg Xi Jinping zum mächtigsten Mann der Welt auf

Chinas heutiger Staatschef Xi Jinping (2. von links) mit anderen Jugendlichen im Mao-Anzug
Xi Jinping wurde am 15. Juni 1953 in Peking geboren. Als Sohn eines Vize-Ministerpräsidenten wuchs er sehr privilegiert auf. Doch in der Kulturrevolution wurde er wie alle Jugendlichen zur Landarbeit aufs Dorf geschickt. Das Foto zeigt ihn (zweiter von links) 1973 mit anderen jungen Männer in Yanchuan in der nordwestlichen Provinz Shaanxi. Dort soll Xi zeitweise wie die Einheimischen in einer Wohnhöhle gelebt haben. © imago stock&people
Xi Jinping steht vor der Golden Gate Bridge in San Francisco
Xi Jinping 1985 vor der Golden Gate Bridge in San Francisco: Damals war er als junger Parteichef des Landkreises Zhengding in der nordchinesischen Agrarprovinz Hebei Delegationsleiter einer landwirtschaftlichen Studienreise nach Muscatine im US-Bundesstaat Iowa. Dort nahm die Gruppe nach offiziellen Berichten „jeden Aspekt der modernen Landwirtschaft unter die Lupe“. Anschließend reiste Xi weiter nach Kalifornien. Es war sein erster USA-Besuch. © imago stock&people
Xi Jingping und Peng Liyuan
Zweites Eheglück: Xi Jinping und seine heutige Ehefrau, die Sängerin Peng Liyuan, Anfang 1989. Zu dieser Zeit war Xi Vizebürgermeister der ostchinesischen Hafenstadt Xiamen. Die beiden haben eine gemeinsame Tochter. Xis erste Ehe war nach nur drei Jahren an unterschiedlichen Lebenszielen gescheitert. Seine erste Frau, die Diplomatentochter Ke Lingling, zog in den 1980er-Jahren nach Großbritannien. © imago
Xi Jinping gräbt mit Parteikollegen an einem Damm zur Verstärkung eines Deiches in Fujian
Aufstieg über die wirtschaftlich boomenden Küstenregionen: 1995 war Xi Jinping bereits stellvertretender Parteichef der Taiwan gegenüberliegenden Provinz Fujian – und noch ganz volksnah. Im Dezember 1995 arbeitet er mit an der Verstärkung eines Deiches am Minjiang-Fluss. © Imago/Xinhua
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt Chinas Vizepräsident Xi Jinping das Regierungsviertel in Berlin
Vizepräsident Xi Jinping 2009 im Kanzleramt bei Angela Merkel: Die deutsch-chinesischen Beziehungen waren unter Merkel relativ eng und von wirtschaftlicher Zusammenarbeit geprägt. Merkel und Xi reisten aus Berlin weiter nach Frankfurt, um die dortige Buchmesse zu eröffnen. China war als Ehrengast geladen. © GUIDO BERGMANN/Pool/Bundesregierung/AFP
Die Vizepräsidenten Xi Jinping aus China und Joe Biden aus den USA halten T-Shirts mit einer Freundschaftsbekundung in die Kamera
Ein Bild aus besseren Zeiten: Aus ihrer jeweiligen Zeit als Vizepräsidenten kamen Joe Biden und Xi Jinping mehrmals zusammen. Im Februar 2012 demonstrierten sie bei einer Reise Xis nach Los Angeles in einer Schule „guten Willen“ zur Freundschaft mit T-Shirts, die ihnen die Schüler überreicht hatten. Damals fehlten Xi nur noch wenige Monate, um ganz an die Spitze der Kommunistischen Partei aufzusteigen. © FREDERIC J. BROWN/AFP
Ein alter Mann in Shanghai schaut auf Xi bei seiner ersten Rede als Parteichef im Fernseher.
Xi Jinping hat es geschafft: Zum Ende des 18. Parteitags am 15. November 2012 wurde Xi als neuer Generalsekretär der Kommunisten präsentiert – und ganz China schaute zu. Xi gelobte in seiner ersten kurzen Rede als Parteichef, die Korruption zu bekämpfen und ein „besseres Leben“ für die damals 1,3 Milliarden Menschen des Landes aufzubauen.  © PETER PARKS/AFP
Der neue Staatschef Xi Jinping geht hinter seinem Vorgänger Hu Jintao zu seinem Platz in der Großen Halle des Volkes in Peking.
Übernahme auch des obersten Staatsamtes: Xi Jinping wurde auf dem Nationalen Volkskongress im März 2013 Präsident und schloß damit den Übergang von seinem Vorgänger Hu Jintao (vorn im Bild) zur Xi-Ära ab. © GOH CHAI HIN/AFP
Chinas Präsident und seine Ehefrau Peng Liyuan gehen über den Flughafen Orly in Paris.
Xi Jinpings Ehefrau Peng Liyuan ist die erste First Lady Chinas, die auch öffentlich in Erscheinung tritt. Hier kommt das Ehepaar zu einem Staatsbesuch in Frankreich an. Die Gattinnen von Xis Vorgängern hatten sich nie ins Rampenlicht gedrängt. Vielleicht auch, weil Maos politisch aktive dritte Ehefrau Jiang Qing nach dem Tod des „Großen Vorsitzenden“ als Radikale verurteilt worden war. © YOAN VALAT/Pool/AFP
Funktionäre der Kommunistischen Partei Chinas auf dem Weg zum Parteitag in Peking
So sehen KP-Funktionäre aus: Delegierte des 19. Parteitags auf dem Weg zur Großen Halle des Volkes in Peking im Oktober 2017. Auf diesem Parteitag gelang es dem Staats- und Parteichef, seine „Xi Jinping-Gedanken zum Sozialismus Chinesischer Prägung in der Neuen Ära“ in die Parteiverfassung aufzunehmen. Er war der erste nach Mao, der zu Lebzeiten in der Verfassung eine Theorie mit seinem Namen platzieren konnte. Einen Kronprinzen präsentierte Xi auf dem Parteitag nicht – entgegen den normalen Gepflogenheiten. © GREG BAKER/AFP
Xi Jinping nimmt in einer Staatslimousine „Rote Fahne“ die Parade zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China ab.
70 Jahre Volksrepublik China: Staatschef Xi Jinping nahm 2019 in einer offenen Staatslimousine Marke „Rote Fahne“ die Militärparade in Peking zum Jahrestag der Staatsgründung ab. © GREG BAKER/AFP
Wirtschaftsforum in Wladiwostok
Xi Jinping pflegt eine offene Freundschaft zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin – bis heute, trotz des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Putin und Xi teilen die Abneigung gegen die von den USA dominierte Weltordnung. Hier stoßen sie 2018 bei einem gemeinsamen Essen auf dem Wirtschaftsforum von Wladiwostok, auf dem sich Russland als Handelspartner und Investitionsziel im asiatischen Raum präsentierte, miteinander an. © Sergei Bobylev/POOL TASS Host Photo Agency/dpa
Xi Jinping besucht im weißen Kittel ein Labor und lässt sich die Impfstoffentwicklung erklären
Ende 2019 brach in China die Corona-Pandemie aus. Im April 2020 informierte sich Xi Jinping in einem Labor in Peking über die Fortschritte bei der Impfstoffentwicklung. Xi ist bis heute überzeugt, dass China die Pandemie besser im Griff hat als der Rest der Welt. Seine Null-Covid-Politik beendet er nicht, wohl auch wegen der viel zu niedrigen Impfquote unter alten Menschen. © Ding Haitao/Imago/Xinhua
Xi Jinpings Konterfei lächelt von einem Teller mit rotem Hintergrund
Auf dem 20. Parteitag im Oktober 2022 ließ sich Xi Jinping zum dritten Mal zum Generalsekretär der Kommunisten ernennen. Damit ist er der mächtigste Parteichef seit Mao Zedong. © Artur Widak/Imago

Richtungsweisende Entscheidungen in Chinas Führungszentrale erwartet

Wer mit Xi den neuen Ständigen Ausschuss bilden wird, bleibt weiter unklar. Zu Beginn des Parteitags hatten Szenen, in denen Xi sich offenbar bemüht um den schwach wirkenden Hu zeigte, für Spekulationen gesorgt, der Parteichef würde Hus Meinung etwa zu Personalien doch stärker berücksichtigen als kurz vor der Tagung erwartet. Nicht mehr Teil des neuen ZK ist jedenfalls Premierminister Li Keqiang, auch wenn er mit 67 Jahren die inofizielle Altersgrenze von 68 knapp unterschritten hatte. Er wird im März auch vom Amt des Premiers zurücktreten.

Als Favoriten auf seine Nachfolge gelten der Shanghaier Parteichef Li Qiang sowie der stellvertretende Ministerpräsident Hu Chunhua. Die Entscheidung wäre richtungsweisend: Li Qiang ist ein ausgewiesener Xi-Loyalist, der zudem den verkorksten Lockdown in Shanghai zu verantworten hat. Hu Chunhua ist mit 59 Jahren so jung, dass er sogar als möglicher Xi-Nachfolger gelten könnte. Sein Problem: Er gehört zu den Vertrauten Li Keqiangs und Hu Jintaos, ist also kein Verbündeter des Starken Mannes.

Xi Jinping baut seine Machtposition weiter aus

Neben Li Keqiang sind drei weitere Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros nicht mehr Teil des ZK: Li Zhanshu, der Vorsitzende des Nationalen Volkskongresses, Vize-Premier Han Zheng sowie Wang Yang, Vorsitzender der beratenden Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes. Der erfahrene Wang hatte zuvor ebenfalls als Kandidat auf den Posten des Ministerpräsidenten gegolten. Am Sonntag werden also voraussichtlich vier von sieben Positionen in Chinas Machtzentrale neu besetzt werden.

Ein großer Knall bei der Änderung der Parteiverfassung blieb derweil aus. Weder wurde Xi in irgendeiner Form als „Vorsitzender“ oder „Anführer“ bezeichnet, noch wurden seine bisherigen politischen Theorien zu „Xi-Jinping-Gedanken“ verkürzt – entsprechend den „Mao Zedong-Gedanken“ von Chinas Staatsgründer. Sich ideologisch auf eine Stufe mit Mao zu stellen, ist Xi also offenbar nicht gelungen.

Trotzdem setzte sich der 69-Jährige noch stärker an der Spitze der Partei fest. So nahmen die Delegierten mehrere theoretische Konzepte Xis in die KP-Verfassung auf, darunter die „Zwei Etablierungen“, durch die die Machtposition von Xi Jinping als „Kern der Partei“ und seine seit 2017 im Kanon stehenden „Xi Jinping-Gedanken für den Sozialismus chinesischer Prägung in der Neuen Ära“ als Leitlinien festgeschrieben werden. Außerdem aufgenommen wurden die „Zwei Erhaltungen“, die Xi Jinping als Schlüsselfigur und die zentralistische, einheitliche Führung der Partei betreffen. Frühere Ideen wie „innerparteiliche Demokratie“ hatte Xi bereits in seiner Rede am ersten Tag des Parteikongresses nicht mehr erwähnt.

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