Olaf Scholz in Peking
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Nach der Ankunft in Peking musste sich Olaf Scholz zunächst auf Corona testen lassen, bevor er das Flugzeug verlassen durfte.

Peking-Besuch des Bundeskanzlers

Olaf Scholz in China: „Es ist richtig, dass ich hier bin“

  • Sven Hauberg
    VonSven Hauberg
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Ukraine-Krieg, Taiwan, Menschenrechte: Bei seinem Peking-Besuch sparte Olaf Scholz nicht mit Kritik an seinem Gastgeber. Aber nimmt man den Kanzler in China überhaupt ernst?

München/Peking – Dritte Seite, ganz unten rechts: Am Tag der Peking-Visite von Olaf Scholz widmete Chinas Parteiblatt, die Volkszeitung, dem deutschen Bundeskanzler nur ein paar Zeilen mit biografischen Details. „Jurastudium, Rechtsanwalt“ ist da zu lesen, und: „Scholz ist verheiratet.“ Kein Wort zu all den Kontroversen der letzten Tage, die in Deutschland die Debatten bestimmten. Dass Scholz‘ Besuch bei Xi Jinping hierzulande umstritten ist, konnte man lediglich dem englischsprachigen Propagandablatt Global Times entnehmen, das unter anderem einen chinesischen Experten mit den Worten zitierte, die Grüne Außenministerin Annalena Baerbock habe im Amt „versagt“, weil sie China gegenüber voreingenommen sei.

Auch Chinas Staatsfernsehen zeichnete lieber das Bild einer harmonischen Freundschaft, die so schnell nicht ins Wanken geraten könne. Da sah man Xi Jinping und Aolafu Shuoerci, wie Olaf Scholz in China genannt wird, an einem meterlangen Konferenztisch in der Großen Halle des Volkes in Peking sitzen und Nettigkeiten austauschen. Erfreut stellte Xi fest, dass der deutsche Bundeskanzler der erste europäische Staatschef sei, der China nach dem Parteitag von Ende Oktober besuche. Auf dem Treffen von Chinas Kommunistischer Partei hatte sich Xi in eine historische Amtszeit als Parteichef wählen lassen und alle seine Gegner aus Chinas oberstem Führungsgremium entfernt. Auch deshalb war der Scholz-Besuch in Deutschland so umstritten.

Chinas Staats- und Parteichef: So stieg Xi Jinping zum mächtigsten Mann der Welt auf

Chinas heutiger Staatschef Xi Jinping (2. von links) mit anderen Jugendlichen im Mao-Anzug
Xi Jinping wurde am 15. Juni 1953 in Peking geboren. Als Sohn eines Vize-Ministerpräsidenten wuchs er sehr privilegiert auf. Doch in der Kulturrevolution wurde er wie alle Jugendlichen zur Landarbeit aufs Dorf geschickt. Das Foto zeigt ihn (zweiter von links) 1973 mit anderen jungen Männer in Yanchuan in der nordwestlichen Provinz Shaanxi. Dort soll Xi zeitweise wie die Einheimischen in einer Wohnhöhle gelebt haben. © imago stock&people
Xi Jinping steht vor der Golden Gate Bridge in San Francisco
Xi Jinping 1985 vor der Golden Gate Bridge in San Francisco: Damals war er als junger Parteichef des Landkreises Zhengding in der nordchinesischen Agrarprovinz Hebei Delegationsleiter einer landwirtschaftlichen Studienreise nach Muscatine im US-Bundesstaat Iowa. Dort nahm die Gruppe nach offiziellen Berichten „jeden Aspekt der modernen Landwirtschaft unter die Lupe“. Anschließend reiste Xi weiter nach Kalifornien. Es war sein erster USA-Besuch. © imago stock&people
Xi Jingping und Peng Liyuan
Zweites Eheglück: Xi Jinping und seine heutige Ehefrau, die Sängerin Peng Liyuan, Anfang 1989. Zu dieser Zeit war Xi Vizebürgermeister der ostchinesischen Hafenstadt Xiamen. Die beiden haben eine gemeinsame Tochter. Xis erste Ehe war nach nur drei Jahren an unterschiedlichen Lebenszielen gescheitert. Seine erste Frau, die Diplomatentochter Ke Lingling, zog in den 1980er-Jahren nach Großbritannien. © imago
Xi Jinping gräbt mit Parteikollegen an einem Damm zur Verstärkung eines Deiches in Fujian
Aufstieg über die wirtschaftlich boomenden Küstenregionen: 1995 war Xi Jinping bereits stellvertretender Parteichef der Taiwan gegenüberliegenden Provinz Fujian – und noch ganz volksnah. Im Dezember 1995 arbeitet er mit an der Verstärkung eines Deiches am Minjiang-Fluss. © Imago/Xinhua
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt Chinas Vizepräsident Xi Jinping das Regierungsviertel in Berlin
Vizepräsident Xi Jinping 2009 im Kanzleramt bei Angela Merkel: Die deutsch-chinesischen Beziehungen waren unter Merkel relativ eng und von wirtschaftlicher Zusammenarbeit geprägt. Merkel und Xi reisten aus Berlin weiter nach Frankfurt, um die dortige Buchmesse zu eröffnen. China war als Ehrengast geladen. © GUIDO BERGMANN/Pool/Bundesregierung/AFP
Die Vizepräsidenten Xi Jinping aus China und Joe Biden aus den USA halten T-Shirts mit einer Freundschaftsbekundung in die Kamera
Ein Bild aus besseren Zeiten: Aus ihrer jeweiligen Zeit als Vizepräsidenten kamen Joe Biden und Xi Jinping mehrmals zusammen. Im Februar 2012 demonstrierten sie bei einer Reise Xis nach Los Angeles in einer Schule „guten Willen“ zur Freundschaft mit T-Shirts, die ihnen die Schüler überreicht hatten. Damals fehlten Xi nur noch wenige Monate, um ganz an die Spitze der Kommunistischen Partei aufzusteigen. © FREDERIC J. BROWN/AFP
Ein alter Mann in Shanghai schaut auf Xi bei seiner ersten Rede als Parteichef im Fernseher.
Xi Jinping hat es geschafft: Zum Ende des 18. Parteitags am 15. November 2012 wurde Xi als neuer Generalsekretär der Kommunisten präsentiert – und ganz China schaute zu. Xi gelobte in seiner ersten kurzen Rede als Parteichef, die Korruption zu bekämpfen und ein „besseres Leben“ für die damals 1,3 Milliarden Menschen des Landes aufzubauen.  © PETER PARKS/AFP
Der neue Staatschef Xi Jinping geht hinter seinem Vorgänger Hu Jintao zu seinem Platz in der Großen Halle des Volkes in Peking.
Übernahme auch des obersten Staatsamtes: Xi Jinping wurde auf dem Nationalen Volkskongress im März 2013 Präsident und schloß damit den Übergang von seinem Vorgänger Hu Jintao (vorn im Bild) zur Xi-Ära ab. © GOH CHAI HIN/AFP
Chinas Präsident und seine Ehefrau Peng Liyuan gehen über den Flughafen Orly in Paris.
Xi Jinpings Ehefrau Peng Liyuan ist die erste First Lady Chinas, die auch öffentlich in Erscheinung tritt. Hier kommt das Ehepaar zu einem Staatsbesuch in Frankreich an. Die Gattinnen von Xis Vorgängern hatten sich nie ins Rampenlicht gedrängt. Vielleicht auch, weil Maos politisch aktive dritte Ehefrau Jiang Qing nach dem Tod des „Großen Vorsitzenden“ als Radikale verurteilt worden war. © YOAN VALAT/Pool/AFP
Funktionäre der Kommunistischen Partei Chinas auf dem Weg zum Parteitag in Peking
So sehen KP-Funktionäre aus: Delegierte des 19. Parteitags auf dem Weg zur Großen Halle des Volkes in Peking im Oktober 2017. Auf diesem Parteitag gelang es dem Staats- und Parteichef, seine „Xi Jinping-Gedanken zum Sozialismus Chinesischer Prägung in der Neuen Ära“ in die Parteiverfassung aufzunehmen. Er war der erste nach Mao, der zu Lebzeiten in der Verfassung eine Theorie mit seinem Namen platzieren konnte. Einen Kronprinzen präsentierte Xi auf dem Parteitag nicht – entgegen den normalen Gepflogenheiten. © GREG BAKER/AFP
Xi Jinping nimmt in einer Staatslimousine „Rote Fahne“ die Parade zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China ab.
70 Jahre Volksrepublik China: Staatschef Xi Jinping nahm 2019 in einer offenen Staatslimousine Marke „Rote Fahne“ die Militärparade in Peking zum Jahrestag der Staatsgründung ab. © GREG BAKER/AFP
Wirtschaftsforum in Wladiwostok
Xi Jinping pflegt eine offene Freundschaft zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin – bis heute, trotz des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Putin und Xi teilen die Abneigung gegen die von den USA dominierte Weltordnung. Hier stoßen sie 2018 bei einem gemeinsamen Essen auf dem Wirtschaftsforum von Wladiwostok, auf dem sich Russland als Handelspartner und Investitionsziel im asiatischen Raum präsentierte, miteinander an. © Sergei Bobylev/POOL TASS Host Photo Agency/dpa
Xi Jinping besucht im weißen Kittel ein Labor und lässt sich die Impfstoffentwicklung erklären
Ende 2019 brach in China die Corona-Pandemie aus. Im April 2020 informierte sich Xi Jinping in einem Labor in Peking über die Fortschritte bei der Impfstoffentwicklung. Xi ist bis heute überzeugt, dass China die Pandemie besser im Griff hat als der Rest der Welt. Seine Null-Covid-Politik beendet er nicht, wohl auch wegen der viel zu niedrigen Impfquote unter alten Menschen. © Ding Haitao/Imago/Xinhua
Xi Jinpings Konterfei lächelt von einem Teller mit rotem Hintergrund
Auf dem 20. Parteitag im Oktober 2022 ließ sich Xi Jinping zum dritten Mal zum Generalsekretär der Kommunisten ernennen. Damit ist er der mächtigste Parteichef seit Mao Zedong. © Artur Widak/Imago

Scholz in Peking: Erst Corona-Test, dann Treffen mit Xi Jinping

Olaf Scholz war am frühen Freitagmorgen in Peking gelandet. Flughafenmitarbeiter in Covid-Schutzanzügen rollten vor der Regierungsmaschine den roten Teppich aus, den der Bundeskanzler allerdings erst nach einem Coronatest betreten durfte. Während der Kanzlerflieger zum Zwischenparken in Richtung Südkorea abhob, damit die Crew nicht in Quarantäne muss, ging es für Scholz und seine rund 60-köpfige Entourage in Richtung Innenstadt. Nur rund elf Stunden hatte der Kanzler in China, für die ansonsten üblichen Besuche in der Verbotenen Stadt oder Fototermine an der Chinesischen Mauer blieb keine Zeit. Stattdessen bewegte man sich in einer eigenes eingerichteten „Blase“ durch die Hauptstadt des „Null-Covid“-Landes China. Alle, die persönlichen Kontakt zu Scholz und seinen Begleitern hatten, mussten anschließend mehrere Tage in Quarantäne, darunter sogar die deutsche Botschafterin in Peking.

Xi Jinping selbst empfing den Kanzler ohne Händedruck, was wohl eher der chinesischen Corona-Angst geschuldet war denn einer zunehmenden Distanz zwischen den beiden ungleichen Politikern, die in den vergangenen Monaten mehrfach telefoniert hatten und sich schon einmal begegneten, als Scholz noch Bürgermeister in Hamburg war. Xi bemühte sich zunächst, vor allem Gemeinsamkeiten zu betonen, sprach davon, die Freundschaft zwischen den beiden Ländern 50 Jahre nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen in die Zukunft führen zu wollen. Dass Deutschland derzeit sein Verhältnis zu China neu bewertet und sich, soweit das möglich ist, aus wirtschaftlichen Abhängigkeiten befreien will, hat aber auch Xi mitbekommen. Zumal Scholz selbst vor seiner Abreise in einem Gastbeitrag geschrieben hatte: „Wenn sich China verändert, muss sich auch unser Umgang mit China verändern.“

In Peking traf Olaf Scholz zunächst auf Chinas übermächtigen Staats- und Parteichef Xi Jinping.

Mit womöglich diesen Worten im Hinterkopf sagte Xi, es sei leicht, politisches gegenseitiges Vertrauen zu zerstören, aber schwierig, es wieder aufzubauen. Xi zitierte sogar den einstigen SPD-Kanzler Helmut Schmidt: Politiker sollten mit Gelassenheit akzeptieren, was nicht geändert werden könne, mit Mut ändern, was geändert werden könne, und mit Klugheit den Unterschied erkennen. Soll heißen: Die Zeiten, in denen der Westen hoffen konnte, China nach seinen Vorstellungen zu formen, sind endgültig vorbei.

Olaf Scholz: „Es ist gut und richtig, dass ich heute hier in Peking bin“

Auch Chinas scheidender Premierminister Li Keqiang trat dem Kanzler vor Pressevertreten selbstbewusst entgegen. Man habe „offen, sachlich und ehrlich“ miteinander gesprochen, sagte Li, der sein Amt im kommenden März abgeben wird. Anschließend verwies er auf die Rolle, die China beim Kampf gegen den Klimawandel und bei der weltweiten Ernährungssicherheit spiele. Ohne China geht nichts, klang da durch.

Scholz hatte zwölf Topmanager mit nach China genommen, unter anderem von Volkswagen, BASF, BMW, Siemens und der Deutschen Bank. Ihnen versprach Li, man wolle „gemeinsame Lösungen“ für die Sorgen der deutschen Unternehmer finden, die über ein zunehmend schwieriges Umfeld klagen. Die Art, wie Li das sagte, klang dann aber doch eher gönnerhaft denn wirklich besorgt. Er weiß schließlich, wie abhängig manch deutsches Unternehmen vom chinesischen Markt ist.

„Es ist gut und richtig, dass ich heute hier in Peking bin“, sagte anschließend Olaf Scholz in Richtung seiner Kritiker daheim in Deutschland. Als wolle er diese Behauptung unter Beweis stellen, hielt sich der Kanzler gegenüber Li Keqiang nicht lange mit Höflichkeiten auf. Zwar erwähnte auch er die fünf Jahrzehnte, die man nun schon diplomatische Beziehungen pflegte. Dann aber kritisierte Scholz sein Gegenüber überraschend deutlich. Er hoffe, so Scholz, dass China bald den mRNA-Impfstoff des deutschen Unternehmens Biontech zulasse – eine Breitseite gegen Chinas „Null-Covid“-Politik und die Weigerung der chinesischen Führung, aus Nationalstolz effektivere Corona-Vakzine einzusetzen als die nicht ganz so wirksamen Impfstoffe made in China. Was „Null Covid“ in der Praxis bedeutet, konnte Scholz schließlich live vor Ort erleben.

Xi Jinping warnt vor Atom-Eskalation im Ukraine-Krieg

Auch andere strittige Themen sparte Scholz nicht aus. So sagte er, dass eine „Veränderung des Status quo von Taiwan nur friedlich und in gegenseitigem Einvernehmen erfolgen darf“, und er wies auf die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang hin. Dort sperrt China Menschenrechtlern zufolge Hunderttausende Uiguren in Umerziehungslager. Diese Missstände anzusprechen, sei „keine Einmischung in innere Angelegenheiten“, so Scholz. Bereits einige Tage vor seiner Abreise nach Peking hatte der Kanzler über eine gesicherte Videoleitung mit chinesischen Menschenrechtsanwälten unterhalten.

Als überraschend wahrgenommen wurde von einigen Beobachtern, was Olaf Scholz seinen chinesischen Gesprächspartnern zum Thema Ukraine-Krieg entlocken konnte. „Wir können uns keine weitere Eskalation leisten“, sagte der chinesische Premier Li beim gemeinsamen Auftritt mit Scholz, anschließend erinnerte der Kanzler sein Gegenüber daran, dass China „als weltpolitischer Akteur und ständiges Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen“ eine besondere „Verantwortung für den Frieden in der Welt“ habe. Laut chinesischem Außenministerium war der russische Angriffskrieg auch Thema bei Scholz‘ Gespräch mit Parteichef Xi. Die internationale Gemeinschaft müsse „sich gemeinsam gegen den Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen aussprechen“, so Xi, und „das Entstehen einer Atomkrise in Asien und Europa verhindern“.

Es waren Worte, die Scholz sicher nur allzu gerne mit nach Hause genommen hat, wo seine Kritiker schon auf ihn warten. Was die Worte von Xi und Li allerdings wert sind, muss sich erst noch zeigen. Denn noch immer hat China Russlands Krieg gegen die Ukraine nicht verurteilt, noch immer pflegt man beste Beziehungen zum Kreml. Daran dürften auch die Ermahnungen eines besorgten Gastes aus Deutschland wenig ändern.