Superwahljahr in Österreich

Österreich: Ablauf, Bedeutung, Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl in Innsbruck

  • VonKilian Beck
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Am Sonntag wählt Innsbruck einen neuen Bürgermeister sowie Gemeinderat. Ein Überblick über Kandidaten, Parteien und die Bedeutung der Wahl in Tirol.

Innsbruck – Über ein Dutzend Parteien und Wahlbündnisse treten zur Kommunalwahl in Innsbruck am Sonntag (14. April) an. Der aktuelle Bürgermeister Georg Willi (Grüne) musste die Hälfte seiner Amtszeit im Stadtrat um Mehrheiten ringen. 2021 zerbrach die Koalition aus Grünen, ÖVP, SPÖ und einer ÖVP-Abspaltung. Willi, einziger Grüner an der Spitze einer Landeshauptstadt von Österreich, strebt nach der Wiederwahl. Sein aussichtsreichster Gegenkandidat ist Markus Lassenberger von der rechtsautoritären FPÖ. Wegen der vielen Parteiabspaltungen bleibt offen, ob die Innsbruck-Wahl klare Mehrheitsverhältnisse in der Tiroler Landeshauptstadt schaffen wird. Ein Überblick über die Kandidaten, den Ablauf der Wahl und die Bedeutung für die Europa- und Nationalratswahlen dieses Jahr in Österreich.

Wahlplakate zur Wahl in Innsbruck 2024.

Von FPÖ bis KPÖ: Über ein Dutzend Parteien, Listen und Abspaltungen treten bei der Innsbruck-Wahl an

Neben den Amtsinhaber Willi und FPÖ-Mann Lassenberger kandieren, laut der Stadt Innsbruck, der ehemalige Staatssekretär Florian Tursky (ÖVP), die Nationalratsabgeordnete Julia Seidl (NEOS), Elisabeth Mayr (SPÖ), Ex-ÖVP-Mann Johannes Anzengruber Andrea Haselwanter-Schneider, von der Regionalpartei „FRITZ“, und Pia Tomedi von der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ+). Im linken Lager tritt zudem noch der Kandidat der Alternativen Liste Innsbruck, einem Bündnis diverser linker Gruppen in der Stadt, Mesut Onay an. Neben den parteigebundenen oder aussichtsreicheren Kandidaten treten mit eigenen Listen Gerald Dapoli (“Gerechtes Innsbruck“), Helmut Reichholf (“EINIG“), Helmut Buchacher (“Die Unabhängigen“) und Franz Veber (TUN) an. Die Bürgermeisterkandidatinnen- und Kandidaten stehen gleichzeitig an der Spitze ihrer Partei- oder Bündnislisten zur Gemeinderatswahl.

Innsbrucks Bürgermeister Georg Willi (Grüne) möchte wiedergewählt werden.

Kernthema bei der Innsbruck-Wahl ist der „Wohnungsnotstand“ in der Stadt

Eine der wichtigsten Weichen für die Innsbrucker Kommunalpolitik wurde schon vor der Wahl gestellt: Im Gegensatz zur letzten Wahl 2018 gilt für 2024 eine Vier-Prozent-Hürde. Ein Kernthema ist, laut einem Bericht des Österreichischen Rundfunks (ORF), die Wohnungsfrage. Bereits 2022 riefen Grüne, die ÖVP-Abspaltung „Für Innsbruck“, SPÖ, NEOS, FRITZ und die Alternative Liste per Stadtratsbeschluss den „Wohnungsnotstand“ nach einem bislang nie angewendeten Gesetz aus den 1970er Jahren aus.

Das sollte ein Vorkaufsrecht für Baugrund und notfalls auch Enteignungen ermöglichen. Damals fehlten Angaben der Stadt Innsbruck zur Folge etwa 5.000 Wohnungen. Einer städtischen Erhebung zur Folge standen Anfang 2024 mehr als 3.000 Wohnungen leer. Angewandt wurde die Notstandsgesetzgebung nicht. Sie scheiterte an Zuständigkeitsfragen mit dem Land. Seit Jahresbeginn wird eine Leerstandsabgabe erhoben.

KPÖ gewann zuletzt mit progressiven Wohnungspolitik-Forderungen bei der Salzburg-Wahl

Die Wohnungsnot sah der Salzburger Politikwissenschaftler Reinhard Heinisch im Merkur.de-Gespräch als entscheidenden Faktor für den Erfolg der KPÖ+ bei der Salzburger Kommunalwahl. Dort sind die selbsterklärten Kommunisten seit Anfang März zweitstärkste Kraft im Gemeinderat, knapp hinter den Sozialdemokraten. Mit Kay-Michael Dankl stellt die KPÖ+ den Vizebürgermeister der Stadt. In Innsbruck ist die KPÖ+ eine große Unbekannte, da die Partei bei der Tiroler Landtagswahl 2022 landesweit lediglich auf 2,7 Prozent kam. In der Landeshauptstadt selbst tritt die KPÖ+ allerdings erstmals außerhalb von Bündnissen, wie der Alternativen Liste an.

KPÖ+-Spitzenkandidatin Pia Tomedi will die Wohnungsfrage ins Zentrum rücken.

KPÖ+-Spitzenkandidatin Tomedi sagte dem linken Magazin Jacobin, Salzburg und Innsbruck seien sich in ihrer, mit Blick auf Verteilungs- und Wohnungsfragen „sehr ähnlich“, weswegen sie „vieles genauso machen“ werde, wie in der Mozartstadt. Inhaltlich orientiere sich die 35-jährige Sozialarbeiterin an der praktischen Sozialpolitik der Salzburger Genossen: Unterstützung für die, die mehr als ein Drittel des Einkommens für die Miete ausgeben, einfachen Zugang zu einem Kautionsfinanzierungsfonds und die Reduzierung von Leerstand. Einer Umfrage für die Bezirksblätter Innsbruck zufolge könnte die KPÖ+ zwischen vier und sechs Prozent der Stimmen erreichen. Auffällig ist, dass im Vergleich zum Wahlergebnis 2018 SPÖ und Grüne anscheinend kaum an Stimmen an die Kommunisten verlieren würden.

FPÖ-Kandidat Lassenberger sieht Innsbruck in „grüner Moral-Geiselhaft“ – Kickl trifft er selten

Zugewinne sagt die Umfrage noch für den Kandidaten Markus Lassenberger von der rechtsautoritären FPÖ. Er und seine Partei liegen in der Umfrage knapp über 20 Prozent der Stimmen. 2018 waren es noch 18 Prozent. Der 45-jährige Polizist sagte der Austria Presse Agentur (APA), Innsbruck befinde sich in „grüner Moral-Geiselhaft“. Er sei gegen die Leerstandsabgabe, denn das Privateigentum sei ihm „heilig“, sagte er, der Agentur.

Stattdessen forderte er „Vermieterunterstützung“, da viele Besitzende wegen „schlechter Erfahrungen“ mit Mietern ihre Wohnungen leer stehen lassen würden. Außerdem forderte er weniger Regulierung für den Neubau. Das ist allerdings weitgehend Landessache. Auf seinem Facebook-Account schrieb Lassenberger von „ungezügelter Migration“ und „Klimahysterie“. Zwei Vokabeln, die auf Linie mit dem extrem rechten Parteichef Herbert Kickl sind, zu dem er nur „wenig direkten Kontakt“ habe, wie Lassenberger der Tiroler Tageszeitung sagte.

Polizist Markus Lassenberger (FPÖ) will Bürgermeister werden und Innsbruck von einer „grünen Moral-Geiselhaft“ befreien.

Anzengruber gegen Tursky: Zweikampf zwischen ÖVP-Mann und Ex-ÖVP‘ler um bürgerliche Stimmen

Im bürgerlichen Lager deutet sich ein Zweikampf zwischen Ex-Staatssekretär Florian Tursky (ÖVP) und Ex-ÖVP-Mann Johannes Anzengruber an. Letzterer zerstritt sich im Zuge einer Korruptionsaffäre mit den Konservativen und tritt mit eigener Liste an. Tursky forderte gegenüber dem Fernsehsender Puls24 einen „Neustart für Innsbruck“. Allerdings wollte er sich ein zehnminütiges Interview lang, auf keine einzige Maßnahme festlegen. Ausführlich hingegen begründete er, warum eine Koalition mit Lassenberger und der FPÖ für möglich hält. Turskys Wahlbündnis liegt in der Berzirksblätter-Umfrage bei etwa 13 Prozent. Anzengruber hingegen bevorzugte gegenüber der APA eine Koalition mit Georg Willis Grünen. Die Liste Anzengrubers sieht dieselbe Umfrage bei circa 16 Prozent. Anzengruber möchte die Wohnungsnot durch Mietkaufmodelle lindern, bei denen Menschen günstig die Sozialwohnung kaufen können, in der sie wohnen. Zudem solle eine Wohnungstauschbörse eingerichtet werden.

Johannes Anzengruber (Ex-ÖVP) und Florian Tursky (r.) von der ÖVP duellieren sich um bürgerliche Stimmen.

Sozialdemokratin Mayr hat „guten Draht“ zum grünen Amtsinhaber, dem sie auch Fehler vorwirft

Die sozialdemokratische Kandidatin Elisabeth Mayr sagte der Agentur, sie habe einen „guten Draht“ zu Bürgermeister Willi, auch wenn der teils schwere Fehler gemacht habe. Auch sie wolle „leistbares Wohnen“ für ein Drittel des Einkommens. Das solle über den Wohnungsnotstand realisiert werden, notfalls müsste die Stadt das Land beim Verfassungsgerichtshof verklagen, um die Zuständigkeit zur Enteignung und Umwidmung zu bekommen. Zudem forderte Mayr mehr Kinderbetreuungsplätze und kostenlosen ÖPNV für Jugendliche. Bürgermeister Willi hatte kurzzeitig ein Korruptionsverfahren am Hals, da er einen Sondervertrag mit einer Amtsleiterin über ein übertarifliches Gehalt schloss. Der Amtsinhaber betonte im APA-Gespräch, er habe bereits einiges in der Wohnungspolitik angeschoben. Weiter möchte er den Autoverkehr aus dem Innsbrucker Zentrum zurückdrängen.

SPÖ-Sportstadträtin Elisabeth Mayr will gegen den Wohnungsnotstand notfalls vor das Verfassungsgericht ziehen.

Stichwahl um Bürgermeisteramt wahrscheinlich – Jeder fünfte Wahlberechtigte ist EU-Bürger

Den Umfragen nach, sicher ist eine Stichwahl zum Bürgermeisteramt. In der Regel findet diese zwei Wochen nach der ersten Abstimmung statt. Wahlberechtigt sind nach Angaben der Stadt etwa 100.000 Menschen. Jeder fünfte von ihnen ist EU-Bürger. 2018 lag die Wahlbeteiligung mit 50 Prozent auf einem historischen Tiefpunkt. Für Europawahl und die anstehende Nationalratswahl in Österreich ist vor allem das Abschneiden der KPÖ, der Grünen und der FPÖ relevant.

Bei der KPÖ stellt sich die Frage, ob sie den Sprung ins Europaparlament schaffen könnte. Für die Grünen ist relevant, ob sie in der Provinz ein liberales Bündnis gegen die FPÖ organisiert bekommen. Und bei der FPÖ fragt sich, ob sie neben der niederösterreichischen Stadt Wels noch ein zweites relevantes Rathaus erobern kann. (kb)

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