Experten-Analyse

Watschn für die Ampel bei der Europawahl: „Die Grünen sind der Hauptverlierer“

  • Andreas Schmid
    VonAndreas Schmid
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Die Ampel verliert bei der Wahl deutlich, allen voran die Grünen. Aber auch Olaf Scholz muss eine Klatsche hinnehmen. Wie geht es für die Ampel weiter?

Brüssel/Berlin – Die Europawahl gilt als Stimmungstest für die Bundespolitik. Fast ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl und rund drei Monate vor den Landtagswahlen im Osten werten die Parteien die EU-Wahl als Fingerzeig für künftige Aufgaben. Wie wichtig die EU-Wahl für das politische Berlin ist, zeigt auch der Wahlkampf von CDU und SPD. Auf ihren Plakaten tauchten die politischen Galionsfiguren Friedrich Merz und Olaf Scholz auf, obwohl sie für Brüssel nicht zur Wahl standen.

Für einen von beiden hat sich diese Strategie gelohnt. Nach vorläufigen Zahlen aus Deutschland ist die CDU/CSU der klare Wahlsieger. Die Union landet bei rund 30 Prozent. Dahinter folgt die AfD, die ihr Ergebnis aus der vergangenen EU-Wahl 2019 ebenso steigern kann. Die Rechtspopulisten stehen vor ihrem besten Ergebnis bei einer gesamtdeutschen Wahl und punkteten laut Nachwahlbefragungen vor allem im Osten.

Enttäuschend ist das Ergebnis für die SPD, die mit ihrem schlechtesten Ergebnis in Europa ebenso abgestraft wurde wie die Grünen, die bis zu acht Prozentpunkte verlieren. Das schlechte Ampel-Ergebnis komplettiert die FDP, die bei rund 5 Prozent geführt wird. Was bedeutet dieses Ergebnis für die Bundespolitik? Eine Einordnung mit Werner Weidenfeld, Professor für Politische Wissenschaft an der LMU München.

Ampel bei EU-Wahl abgestraft: „Der Hauptverlierer sind die Grünen“

Weidenfeld erkennt in dem Ergebnis ein „dramatisches Signal für die politische Stimmungslage” und sieht die Verlierer der Wahl im Gespräch mit IPPEN.MEDIA vor allem bei Rot-Grün-Gelb: „Die Ampel hat zusammen so viele Stimmen wie die Union. Damit steigt der Druck auf die Ampel weiter. Das ist eine dramatische Entwicklung für die Regierungsparteien.“

Alle Ampel-Parteien büßen Prozentpunkte ein – sowohl im Vergleich zur vorherigen EU- als auch zur Bundestagswahl. Aber „der Hauptverlierer sind die Grünen“, so Weidenfeld. „Sie waren über Jahre die Erfolgspartei und die großen Retter des Hauptthemas Umweltschutz. Jetzt brechen sie ein und verlieren ebenso wie FDP und SPD.“

Ähnlich äußert sich Prof. Jürgen Falter von der Uni Mainz: „Das Ergebnis ist eine Klatsche für die Ampel, besonders für die Grünen. Die haben wirklich gravierend verloren gegenüber dem letzten Mal – auch wenn es damals ein Rekordergebnis war.“ Besonders bestürzend für die Ökopartei sei, dass sie vor allem bei jungen Wählern verloren hätten. Die Grünen selbst zeigten sich enttäuscht über das Abschneiden. „Das ist nicht der Anspruch, mit dem wir in diese Wahl gegangen sind, und wir werden das gemeinsam aufarbeiten“, sagte die Co-Parteichefin Ricarda Lang am Sonntagabend in der ARD.

Scholz als Verlierer der Wahl: Vertrauensfrage? „Ganz so dumm ist er nicht“

Das Ergebnis ist aber auch eine bittere Klatsche für Olaf Scholz. „Für den Kanzler bedeutet das natürlich alles andere als Rückenwind. Das ist kein Erfolgserlebnis“, schildert Weidenfeld und rechnet anschließend mit Scholz‘ Führungsstil ab: „Es zeigt sich, dass der Kanzler in keiner Komponente irgendeine positive Wirkung hat. Er ist zu unklar und die Wählerinnen und Wähler wissen gar nicht genau, was er eigentlich will. Seine Führungsleistung ist nicht profiliert, wenn überhaupt vorhanden.“

Auch Falter beschreibt Scholz als Verlierer dieser Wahl: „Die SPD hat Kanzler Olaf Scholz und Spitzenkandidatin Barley in den Vordergrund geschoben. Das war ein strategischer Fehler. Denn Scholz, der derzeit ziemlich unbeliebt ist, zieht natürlich keine Stimmen an.“

Im Wahlkampf präsent: Olaf Scholz mit der SPD-Europaspitzenkandidatin Katarina Barley

Aus der Opposition kamen nach der Wahl schon spöttische Rufe, Scholz müsse die Vertrauensfrage stellen. Damit kann sich der Bundeskanzler vergewissern, ob er noch die Zustimmung der Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag hat. Findet der Antrag keine Zustimmung der Mehrheit, kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers den Bundestag auflösen, und es gibt Neuwahlen.

Aus der Koalition gab es bereits Absagen zu diesem Prozedere: „Es wird keine Vertrauensfrage gestellt“, sagte etwa FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Auch Weidenfeld schließt das aus: „Das ist ein Hinweis, den eine Oppositionspartei natürlich geben muss, um die anderen noch weiter in Schwierigkeiten zu bringen, aber dass Olaf Scholz das jetzt macht, ist ausgeschlossen. Ganz so dumm ist er nicht.“

EU-Wahl: „Sehr gutes Abschneiden“ für Wagenknecht-Partei

Die Gewinner der Wahl sieht Weidenfeld in der Union, der AfD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). „Die AfD hat deutlich dazu gewonnen und entwickelt sich allmählich weg von einer radikalen Randpartei zu einer großen Partei.“ Die Rechtspopulisten stehen vor ihrem besten Ergebnis bei einer bundesdeutschen Wahl, erreichten aber weniger Prozent als in Umfragen vor einigen Wochen. „Das ist durchaus nachvollziehbar aufgrund der beachtlichen Skandale der AfD rund um die Spitzenkandidaten“, meint der Experte. Dem BSW bescheinigt Weidenfeld zudem ein „sehr gutes Abschneiden“, das auch auf die Kleinpartei Volt zutreffe. Sie erreicht in etwa so viel wie die im Bundestag vertretene Linke.

CDU/CSU wird stärkste Kraft: „Friedrich Merz geht gestärkt aus dieser Europa-Wahl“

Freuen darf sich auch die CDU. „Der Erfolg gibt der CDU-Führung Rückenwind – auch für die künftige weitere Klärung der Kanzlerkandidatur“, sagt Weidenfeld. „Friedrich Merz geht gestärkt aus dieser Europa-Wahl. Die Union wird die Ampel damit wohl weiter vor sich hertreiben. Merz sprach nach der Wahl von einer „letzten Warnung“ für die Ampel. Deren Politik schade dem Land, sagte er. CSU-Chef Markus Söder sagte: „Die Ampel ist de facto abgewählt.“

Zur Person

Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld ist Direktor des Centrums für Angewandte Politikforschung (CAP) an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er auch als Professor in Erscheinung tritt. Der 76-jährige Politologe arbeitete unter dem einstigen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) als Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit und ist seit den 1990er Jahren am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der LMU München tätig.

Wie reagiert die Ampel auf das Ergebnis? „Die Bundesregierung wird nach diesem für sie dramatischen Ergebnis versuchen, ihre non-stop ausgetragenen öffentlichen Konflikte zu reduzieren“, meint Weidenfeld. „Ihr Ziel ist es ja nicht, die Regierung scheitern zu lassen, das wäre ein Hauch von politischem Selbstmord, den sie begehen würden.” (as)

Rubriklistenbild: © Christoph Soeder/dpa