Bundesweite Demonstrationen
Bauernproteste: Wie schlecht geht es den Landwirten wirklich?
VonPeter Siebenschließen
Bundesweit blockieren Bauern Autobahnen und Straßen. Es geht um ihre Existenz, sagen sie. Dabei haben viele Landwirte ein Rekordjahr hinter sich.
Berlin – Die Wut entlädt sich im Wummern der Traktor-Motoren: Bundesweit blockieren Bauern mit riesigen Landmaschinen den Verkehr, legen am Montag Autobahnauffahrten und Durchgangsstraßen lahm. Vor wenigen Tagen erst sorgten Dutzende Landwirte mit einer Protestaktion gegen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck für Aufsehen. Grund für den Bauernprotest: geplante Subventionskürzungen, die die Einnahmen von Landwirten schmälern. Für viele Betriebe sei das ein Genickbruch, heißt es von den Landwirten. „Grün, gelb, rot – ist des Bauern Tod“, lautet die Polemik, mit dem Demonstranten gegen die Ampel-Koalition wettern. Aber wie schlecht geht es den Landwirten eigentlich wirklich?
Bauernproteste in ganz Deutschland nach Rekordjahr für Landwirte
Ein Blick in die Jahresberichte der landwirtschaftlichen Landesbetriebe zeigt zumindest: Das letzte Jahr war finanziell für viele Bauern ziemlich gut. Ein paar Beispiele:
- Insgesamt konnten die Landwirte in Hessen ihre Gewinne deutlich steigern. Über alle Betriebsformen hinweg lag das durchschnittliche Jahresergebnis laut Landesbetrieb Landwirtschaft bei 132.328 Euro. Im Vorjahr waren es noch 73.795 Euro. „Demnach verzeichnen wir im abgelaufenen Wirtschaftsjahr ein absolutes und bisher nie dagewesenes Spitzenergebnis mit einer nochmaligen erheblichen Gewinnsteigerung über alle Haupterwerbsbetriebe von fast 80 Prozent“, heißt es aus dem Landesbetrieb.
- Auch die Landwirtschaftskammer Niedersachsen verzeichnet „erhebliche Gewinnsteigerungen“: Die Auswertungen zeigten demnach eine Verbesserung der Ergebnisse um fast 50 Prozent auf 148.000 Euro im Durchschnitt aller Betriebe.
- Und die Landwirtschaftskammer NRW zeichnet ein Durchschnittsergebnis für alle Betriebe von 112.611 Euro aus. Im Jahr davor waren es noch 84.558 Euro.
- Rekordzahlen wie diese ziehen sich durch alle Bundesländer: Laut dem Deutschen Bauernverband haben die Landwirte bundesweit ein Durchschnittsergebnis von 115.000 Euro erzielt.
Grund für die hohen Gewinne: Die Betriebe haben von den Preisentwicklungen für Agrarprodukte im Zuge des Ukraine-Kriegs profitiert, wie es unter anderem beim hessischen Landesbetrieb Landwirtschaft heißt. „Der Boom auf dem Milchmarkt, international steigende Preise für Getreide und sinkende Schweinebestände führten zu einer deutlichen Steigerung der Gewinne in allen Betriebsformen der landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe“, resümierte zuletzt auch Gerhard Schwetje, Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen.
Bauernverband: „Friedlicher Protest absolut gerechtfertigt“
Und der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Bernhard Krüsken, sagt gegenüber IPPEN.MEDIA: „Die Gründe für die positive Entwicklung bei den Wirtschaftsergebnissen lagen in den außergewöhnlichen Preissteigerungen für Nahrungsmittel infolge einer global engen Versorgungslage in Verbindung mit der Tatsache, dass die Betriebe noch auf preisgünstiger eingekaufte Betriebsmittel des Vorjahres zurückgreifen konnten.“
Sind die Bauernproteste angesichts des Rekordjahres denn dann gerechtfertigt? Ja, findet man beim Bauernverband: „Angesichts der Tatsache, dass es sich um ein Ausnahmejahr gehandelt hat und die Landwirtschaft bereits vor der geplanten Agrardiesel-Streichung zahlreiche empfindliche Einschnitte zu tragen hat, ist friedlicher und demokratischer Protest für die Sache absolut gerechtfertigt.“ Die Pläne der Bundesregierung zielten auf eine im langjährigen Vergleich „beispiellose Steuererhöhung und Einkommensminderung“, so Krüsken. Das Ende der Agrardiesel-Subventionen sei „der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.“
Was bedeutet der Wegfall der Agrardiesel-Subventionen für die Landwirte?
Zum Hintergrund: Landwirte betreiben ihre Landmaschinen mit Dieselkraftstoff. Eine Alternative gibt es aktuell im Grunde nicht. Die Kosten werden vom Staat noch subventioniert. Im Jahr 2021 hat jeder landwirtschaftliche Betrieb durchschnittlich 2895 Euro an Agrardieselbeihilfe bekommen, wie es im agrarpolitischen Bericht der Bundesregierung heißt. Künftig soll das wegfallen. Die Ampel-Koalition wollte die Subventionierung eigentlich sofort komplett streichen, hat die Maßnahme inzwischen aber abgemildert. So sollen die Hilfen in den nächsten drei Jahren schrittweise reduziert werden. Bei den Einnahmen fehlen jedem Betrieb ab dem Jahr 2026 also etwa 3.000 Euro jährlich.
Was verdient ein Bauer?
Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob Bauern eigene Betriebe selbstständig bewirtschaften oder angestellt sind. Im Schnitt verdienen Landwirte pro Kopf etwa 40.000 Euro pro Jahr. Landwirtschaftliche Betriebe erhielten zuletzt überdies jährlich durchschnittlich 48.000 Euro an Subventionen. Von den Gesamteinnahmen zahlen die meist familiär geführten Betriebe Krankenversicherungen, Altersvorsorge und Investitionen in ihre Höfe. Angestellte in der Landwirtschaft, die immerhin 62 Prozent der 517.000 Erwerbstätigen ausmachen, bekommen laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich nur etwa 18.500 Euro.
Verbände rechnen mit deutlich niedrigeren Ergebnissen für Bauern
Die Verbände und Landwirtschaftskammern rechnen nicht damit, dass sich die hohen Gewinne des Rekordjahres in diesem Jahr fortsetzen werden. „Seit Anfang 2023 sehen wir wieder einen anhaltenden deutlichen Verfall der Erzeugerpreise auf breiter Front, sodass 2022/23 wohl leider ein Ausnahmefall bleiben wird“, glaubt Bernhard Krüsken vom Bauernverband. Die Erzeugerpreise seien bereits seit dem Jahreswechsel bei wichtigen pflanzlichen und tierischen Erzeugnissen wieder im Sinkflug. Von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen heißt es gar: Die Wirtschaftsergebnisse 2024 würden sich auf einem deutlich niedrigeren Niveau einpendeln als im Vorjahreszeitraum. „Besorgniserregend bleiben Faktoren wie die Folgen des Klimawandels oder die Seuchengefahr etwa durch die Afrikanische Schweinepest und die Blauzungenkrankheit.“
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