Seit einem Jahr in Kraft
Nationale Sicherheitsstrategie: „Im Krisenfall ist jeder Einzelne mit seinen Fähigkeiten gefordert“
VonFlorian Pfitznerschließen
Deutschland soll widerstandsfähiger werden, dafür hat die Bundesregierung eine Strategie aufgelegt. Immerhin ein Anfang, sagt Sicherheitsexperte Wolf-Jürgen Stahl.
Berlin – Vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine hat der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz einen längst historischen Begriff geprägt. „Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents“, sagte der SPD-Politiker vor dem Deutschen Bundestag. „Mit dem Überfall auf die Ukraine hat der russische Präsident Putin kaltblütig einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen.“
Kanzler Scholz hat angesichts des russischen Aggressors auch den einen oder anderen großen Satz gesagt. Dazu gehört jener, den er auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor den versammelten Staats- und Regierungschefs ausgesprochen hat: „Ohne Sicherheit ist alles andere nichts.“
Deutschland hat sich zum ersten Mal eine Nationale Sicherheitsstrategie gegeben
Für Generalmajor Wolf-Jürgen Stahl ist dieser Satz zum Leitmotiv geworden. Der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) zitiert ihn gleich mehrfach im Gespräch mit dieser Redaktion, als es um die Nationale Sicherheitsstrategie geht. „Es ist schon mal gut, dass sich Deutschland dazu durchgerungen hat, überhaupt eine Nationale Sicherheitsstrategie aufzusetzen“, sagt Stahl. „Es sollte jeden Menschen auf der Straße interessieren, dass er oder sie Verantwortung für die Sicherheit trägt, dass er oder sie einen Beitrag für die nationale Sicherheit zu leisten hat.“
Seit einem Jahr ist die Sicherheitsstrategie der Bundesregierung in Kraft. Aus diesem Grund lädt die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock am 1. Juli zur Diskussion an die Bundesakademie für Sicherheitspolitik ein. Die Grünen-Politikerin wird die Veranstaltung mit einer Rede eröffnen und die erste Panel-Diskussion des Tages moderieren. Thema: „Mit- und voneinander lernen: Unsere Gesellschaften resilienter machen.“
Als „größte Bedrohung“ gilt auf absehbare Zeit Russland
„Wehrhaft. Resilient. Nachhaltig – Integrierte Sicherheit für Deutschland“, so hat die Bundesregierung ihre Strategie betitelt. Darin führt sie aus, wie sie auf äußere und innere Gefahren reagieren will. Als „größte Bedrohung“ gilt auf absehbare Zeit Russland. Sicherheitspolitik sei jedoch mehr als die Summe aus Diplomatie und Militär und „auf jeden einzelnen Menschen ausgerichtet“, heißt es in dem Strategiepapier für ein widerstandsfähiges Deutschland: „Unverzichtbare Grundlage unserer Wehrhaftigkeit sind Bürgerinnen und Bürger, die bereit sind, ihren Beitrag hierzu zu leisten.“
Zum Schutz des Gemeinwesens setzt Scholz‘ rot-grün-gelbe Bundesregierung in Krisen- oder Katastrophenlagen auf ehrenamtliches Engagement und lebendige Nachbarschaften. „Im Mittelpunkt steht der Einzelne, der Staat kann sich nicht um alle gesellschaftlichen Aufgaben kümmern“, sagt BAKS-Präsident Stahl. „Wenn der Einzelne aus dem zivilen Leben eine Fähigkeit hat, ob in Zweitfunktion als ausgebildeter Rettungssanitäter oder als Maschinist bei der Freiwilligen Feuerwehr, kann er einen Beitrag für diese Gesellschaft leisten.“
Sicherheitsexperte Stahl empfiehlt, im eigenen Haushalt vorzubeugen
Man könne es auch mit den Worten des früheren US-Präsidenten John F. Kennedy sagen: „Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann – fragt, was ihr für euer Land tun könnt.“
Stahl empfiehlt zudem, im eigenen Haushalt für einen möglichen Krisenfall vorzubeugen. „Jeder muss in der Lage sein, sich eine gewisse Zeit versorgen zu können – bis staatliche Mechanismen greifen“, sagt er. „Es wäre also beispielsweise ratsam, sich für 14 Tage einen Vorrat an Wasser und Konserven zusammenzustellen.“
Mit Generalmajor Stahl ist zum ersten Mal ein aktiver Bundeswehrsoldat Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. An die Veranstaltung mit Außenministerin Baerbock in seinem Haus stellt er hohe Erwartungen. „Die Nationale Sicherheitsstrategie muss jetzt weiterentwickelt werden“, fordert Stahl. „Im Krisen- oder Konfliktfall muss es geordnete Abläufe geben.“ Die Entscheidungsträgerinnen und -träger müssten nicht unbedingt in einem nationalen Sicherheitsrat sitzen, „aber die Prozesse und Verfahren sollten im Ernstfall klar geregelt sein“.
Rubriklistenbild: © picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

