Urkaine-Krieg

Baerbock: Müssen Putin für „Urverbrechen“ zur Verantwortung ziehen und Völkerrecht reformieren

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Der Ukraine-Krieg stellt die internationale Politik vor neue Herausforderungen. Das Völkerrecht müsse angepasst werden, appelliert Baerbock an die Weltgemeinschaft.

Update vom 18. Juli, 10.40 Uhr: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bekräftigte in einer Rede im UN-Sicherheitsrat in New York ihre Forderung nach einer Reform des Völkerrechts, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet. Es gelte, den russischen Präsidenten Wladimir Putin für das „Urverbrechen“ seines Angriffskrieges gegen die Ukraine zur Rechenschaft zu ziehen, sagte die Ministerin bei einem Festakt zum 25. Jahrestag des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH).

Angesichts fehlender Mehrheiten für eine Reform des Römischen Statuts als rechtliche Grundlage für den IStGH sagte Baerbock: „Wir haben die Verantwortung, unsere Kräfte zu bündeln und Wege zu finden, um die Lücke bei der Rechenschaftspflicht für das Urverbrechen (...) zu schließen.“ Ausführlich ging sie auf die Nazi-Verbrechen im Zweiten Weltkrieg ein. „Mein Land, Deutschland, hat unmenschliche Angriffskriege geführt und den grausamsten Völkermord begangen, bei dem Millionen Menschen getötet wurden“, sagte sie. „Deshalb haben wir eine besondere Verantwortung, unseren Teil dazu beizutragen, dass solche Verbrechen nie wieder passieren.“

Annalena Baerbock in New York.

Baerbock fordert wegen Ukraine-Krieg Reform des Völkerrechts

Erstmeldung vom 17. Juli: New York - Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) fordert mit Blick auf den Ukraine-Krieg eine Reform des Völkerrechts. Diese sei notwendig, um auch Angriffskriege beziehungsweise deren Urheber wie den russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Rechenschaft ziehen zu können.

„Niemand darf im 21. Jahrhundert einen Angriffskrieg führen und straflos bleiben“, sagte die Grünen-Politikerin laut der Deutschen Presse-Agentur vor einer Reise nach New York. Dort will sie bei den Vereinten Nationen (UN) an einem Festakt zum 25. Jahrestag der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) teilnehmen und eine Rede vor dem UN-Sicherheitsrat halten.

„In den Augen der Täter ist der IStGH schon jetzt ein scharfes Schwert“, sagte Baerbock. In den Augen der Opfer sei er die Hoffnung darauf, dass ihr Leid nicht ungestraft bleibe. „Deshalb schmerzt eine Lücke in der Strafverfolgung besonders“, so die Ministerin. Bei Verbrechen der Aggression gegen „das kostbarste Gut, das wir haben: unseren Frieden“ seien die Hürden für eine Strafverfolgung noch zu hoch. Das Völkerrecht müsse den „Realitäten im 21. Jahrhundert gerecht“ werden.

Baerbock hatte schon im Januar vorgeschlagen, die rechtlichen Grundlagen des IStGH, das Römische Statut, so zu ändern, dass auch der Tatbestand des Angriffskriegs uneingeschränkt verfolgt werden kann. So soll es ausreichen, wenn der Opferstaat einer Aggression unter die Jurisdiktion des Gerichtshofes fällt. Derzeit kann nur der UN-Sicherheitsrat den Fall des Ukraine-Krieges dem Gericht übertragen, da weder Russland noch die Ukraine Vertragspartner sind. Als ständiges Mitglied hat Russland im Sicherheitsrat allerdings ein Vetorecht.

Völkerrechtler stimmt Baerbock zu: „Der Sache nach hat die Ministerin völlig recht“

Der Völkerrechtler Prof. Dominik Steiger, Wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für Internationale Studien an der TU Dresden, begrüßt auf Anfrage von Ippen.Media die Initiative der Außenministerin, die „der Sache nach völlig recht“ habe. Für die Strafbarkeit von Genoziden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vor dem IStGH gelte das sogenannte Tatortprinzip bereits jetzt. „Das heißt, es reicht, dass der Staat, auf dessen Territorium die Verbrechen stattgefunden haben, die Jurisdiktion des IStGH anerkannt hat.“

Bei Angriffskriegen sei das nicht der Fall. Sie können nur bestraft werden, „wenn der Aggressorstaat dem vorher ausdrücklich zugestimmt hat“ - und das auch erst seit 2018. Dass das Tatortprinzip hier nicht gilt, stelle laut Steiger eine „Ungleichbehandlung zwischen dem Verbrechen der Aggression und den anderen Verbrechen“ dar. Eine entsprechende Änderung des Römischen Statuts sei aber „äußerst schwierig“, da jeder einzelne der 123 Mitgliedsstaaten dieses Vertrags dem zustimmen muss. „Wenn es aber niemand versucht, wird es dazu aber auch erst recht nicht kommen“, so Steiger.

Kommt Sondertribunal für russische Führungsriege?

Baerbock unterstützt auch den Vorschlag, die russische Führungsriege per Sondertribunal für den Angriffskrieg gegen die Ukraine zur Rechenschaft zu ziehen. Ein solches Tribunal soll auf ukrainischem Recht basieren. Internationale Elemente könnten ein Standort im Ausland, internationale Richter und Ankläger sowie eine unterstützende Resolution der UN-Generalversammlung sein. Die deutsche Position teilen nach Angaben der Bundesregierung die übrigen G7-Staaten sowie zahlreiche EU-Mitglieder.

Baerbock kritisierte zudem: „Die Barbarei des russischen Krieges zeigt sich vor allem in dem Schicksal der vielen tausend Kinder, die aus der Ukraine nach Russland verschleppt wurden.“ Ihnen nehme Russland nicht nur die Kindheit, sondern auch Zukunft und Identität. Nach ukrainischen Angaben wurden annähernd 20 000 Kinder durch russische Behörden deportiert.

Internationaler Strafgerichtshof ermittelt seit Februar 2022 gegen Russland

Der IStGH hatte deshalb Mitte März Haftbefehle gegen Putin und die russische Kinderrechtsbeauftragte Maria Lwowa-Belowa wegen Kriegsverbrechen ausgestellt. Mit Spannung wird ein Gipfel der Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) vom 22. bis 24. August in Südafrika erwartet. Falls Putin anreist, könnte er verhaftet werden.

Der IStGH leitete kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar vergangenen Jahres Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in der Ukraine ein. Chefankläger Karim Khan schickte die größte Gruppe an Ermittlern ins Kriegsgebiet, die der Gerichtshof je entsandt hat. Außerdem wurde ein eigenes Büro in Kiew eröffnet.

Zu einer Verurteilung Putins wegen des Verstoßes gegen das Verbot Angriffskrieges wird es selbst dann nicht kommen, sollte die Initiative Baerbocks tatsächlich realisiert werden. Dem stehe schon das Verbot der Rückwirkung strafrechtlicher Normen entgegen, erklärt Steiger. Es gehe aber nicht nur darum, die Gegenwart zu gestalten, sondern auch die Zukunft, fügt er hinzu - „und das sollte besser früher als später geschehen.“ (rowa)

Rubriklistenbild: © Michael Kappeler/dpa