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„Fachkräftekrise“: Größter Azubi-Mangel seit 30 Jahren – Karte zeigt, wo Bedarf am größten ist

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  • Sok Eng Lim
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  • Kai Bräunig
  • Moritz Maier
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Deutschland schlittert in eine Fachkräfte-Krise. Es braucht mehr Zuwanderung, heißt es von Experten. Und noch etwas muss sich dringend ändern, sagen Grüne und CDU.

Berlin – Deutschland hat ein gewaltiges Fachkräfte-Problem – nicht zuletzt im Handwerk und anderen Ausbildungsberufen. So fallen bis 2030 sieben Millionen Jobs weg, weil die Generation Babyboomer in Rente geht. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zahl unbesetzter Ausbildungsstellen im letzten Jahr mit über 73.000 einen neuen Höchststand erreichte, wie aus Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) hervorgeht. Zuletzt wurde jede achte Stelle nicht besetzt. Die Fachkräfte von morgen fehlen schon heute. Was also tun dagegen? Es gibt Möglichkeiten. Denn: Millionen von jungen Menschen haben keinen Berufsabschluss. Diese müssen besser gefördert werden, heißt es aus der Politik.

CDU fordert: KI soll beim Azubimangel helfen

„Den Mangel an Auszubildenden sehen wir an allen Ecken und Enden“, sagt Thomas Jarzombek, bildungspolitischer Sprecher der CDU im Bundestag, gegenüber IPPEN.MEDIA. Der CDU-Politiker, der auch im Bundesvorstand der Partei sitzt, fordert ein Bündnis für höhere Attraktivität der Ausbildung. Betriebe müssen Jarzombek zufolge mehr Gehalt bezahlen, aber auch die Politik sei gefragt: „Der Staat kann helfen und etwa das Schüler-Bafög auch auf Ausbildungsberufe ausweiten.“

Paradox: Eigentlich gibt es genug freie Ausbildungsplätze. Doch die Zahl der Menschen ohne Ausbildung wächst. Allein 2021 gab es über 2,6 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren, die keinen Berufsabschluss hatten. Der CDU-Politiker sieht dabei besonders in der schulischen Berufsorientierung Luft nach oben. „Bei der Berufsorientierung bieten Digitalisierung und KI enormes Potenzial, das genutzt werden muss. Intelligente Lernprogramme können persönliche Stärken und Schwächen erkennen und dementsprechend passgenaue Empfehlungen für Berufsfelder geben“, so Jarzombek. Durch eine bessere Orientierung in der Schule können Schülerinnen und Schülern besser zugeschnittene Praktika angeboten werden, so die Idee. „Jeder hat Stärken und Schwächen, entscheidend ist, diese herauszufinden. Wer im dazu passenden Beruf landet, ist gut darin und dadurch auch motiviert.“

Grünen-Politikerin will Berufsorientierung schon in der Grundschule

An der Berufsorientierung ansetzen will auch Anja Reinalter von den Grünen. Sie ist ebenfalls Mitglied im Bildungsausschuss und zeigt sich von der Zahl junger Menschen ohne Berufsabschluss schockiert: „Das ist viel zu hoch! Wer keinen Abschluss hat, dem droht fast immer die Sackgasse Armut.“ Reinalter betont, dass der Mangel an Azubis und Arbeitskräften kein reines Ampel-Thema sei, sondern schon seit Jahren ein Problem ist. „Wir haben nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern eine Fachkräftekrise.“

Die Grünen-Politikerin plädiert gegenüber unserer Redaktion für mehr individuelle Förderung. „Junge Menschen brauchen mehr Berufsorientierung – früher, häufiger, regelmäßiger. Eine Woche Orientierung in der 8. Klasse reicht nicht“, so Reinalter. „Schauen wir doch in die Schweiz: Da schnuppern schon Grundschüler in Berufe rein.“

Ohne Zuwanderung bekommt Deutschland den Azubi-Mangel nicht in den Griff

Trotz der ungenutzten Potenziale junger Menschen in Deutschland kann der künftige Mangel an jungen Arbeitskräften mit dem heimischen Markt nicht gedeckt werden. Reinalter ist deshalb für mehr Zuwanderung: „Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland, um unseren Wohlstand zu erhalten. Ausgebildete Fachkräfte sind nur ein Teil des Puzzles. Wir müssen es schaffen, mehr Menschen zu motivieren nach Deutschland zu kommen, um bei uns eine Ausbildung zu machen.“

Für einen höheren Stellenwert der Ausbildung spricht sich die Grünen-Abgeordnete für mehr staatliche Förderungen aus, ähnlich wie Studierende sie bereits beim günstigen Wohnen bekommen. „Wir fördern Studis, also müssen wir auch Azubis fördern. Es spricht beispielsweise nichts dagegen, wenn beide in Wohnheimen zusammenleben.“

Auf dem Fachkräftekongress erklärten Azubis Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), wo es an Ausbildungen in Deutschland hakt – und was besser gemacht werden muss, um genügend Fachkräfte von morgen auszubilden.

Der Bundesregierung ist der größte Azubi-Mangel seit 30 Jahren freilich bekannt. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, einem Mobilitätszuschuss, der Azubi-Förderung „junges Wohnen“ und dem Berufsorientierungsprogramm (BOP) sollen mehr junge Menschen aus In- und Ausland in Ausbildungen gebracht werden. Oliver Kaczmarek, bildungspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag, spricht beim BOP gegenüber IPPEN.MEDIA von einem „Gamechanger“ betont aber auch, dass es für eine erfolgreiche Berufsorientierung eine „starke Einbindung der Wirtschaft und eine Vernetzung zwischen Schulen und Unternehmen vor Ort“ brauche.

SPD-Politiker: Bildungssystem zu wenig auf Vielfalt junger Menschen ausgerichtet

Außerdem verweist der SPD-Politiker auf junge ausländische Menschen, die bereits in Deutschland leben. „Unser Bildungssystem ist zu wenig auf die Vielfalt der jungen Generation mit ihren unterschiedlichen Begabungen und Bedürfnissen ausgerichtet. Das Potenzial der ausländischen Jugendlichen in Deutschland ist enorm und verdient unsere volle Anerkennung, insbesondere wenn es um den Zugang zu Arbeit und Ausbildung geht“, so Kaczmarek. „Wir müssen bessere Integrationsmaßnahmen anbieten, damit sie ihre Potenziale voll entfalten können. Denn noch immer hängt der Bildungserfolg stark von der sozialen Herkunft ab.“

Rubriklistenbild: © S. E. Lim/Lars Fröhlich/Imago (Montage)

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