„Sonstige“ stark wie nie

„Expressiv wählen“: Warum Volt, PdF und Co. überraschende Erfolge bei Europawahl feiern können

  • Moritz Maier
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Volt, PARTEI, ÖDP. Unter den Kleinparteien gibt es bei der Europawahl große Gewinner. Bei Erstwählern erreichen Kleinparteien zusammen mehr Stimmen als CDU, AfD oder SPD.

Acht deutsche Kleinparteien werden ins neu geformte Europaparlament einziehen. Das ergeben die vorläufigen Ergebnisse der Europawahl 2024. Über 14 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Deutschland entschieden sich für Kleinparteien – und das neue BSW von Sahra Wagenknecht ist in diese Zahl noch nicht einmal eingerechnet. Zu den größten Gewinnern gehört die pro-europäische Partei Volt – die große Ziele hat.

Europawahl-Ergebnisse: Pro europäische Partei Volt auf Höhenflug

Mit rund 2,6 Prozent der Stimmen in Deutschland gehört Volt zu den Durchstartern dieser Europawahl. Im Vergleich zur vergangenen Wahl 2019 legt Volt 1,9 Prozentpunkte zu und vervierfacht sein Ergebnis. Die in mehreren Ländern registrierte Partei steht für linksliberale Positionen und eine starke EU. Damit darf Volt aus Deutschland künftig drei Abgeordnete ins EU-Parlament schicken. In den Niederlanden holte Volt sogar 4,9 Prozent und darf ebenfalls Abgeordnete schicken. Für Volt-Spitzenkandidat Damian Boeselager ist dieser Erfolg aber erst der Anfang: Er kündigte an, auch bei der nächsten Bundestagswahl antreten zu wollen.

Ebenfalls auf drei Sitze dürfen sich die – außerhalb Bayerns nach wie vor Kleinpartei – Freien Wähler freuen. Sie erlangten nach vorläufigen Ergebnissen 2,6 bis 2,7 Prozent und verbesserten ihr Ergebnis um 0,5 Prozentpunkte. Die Satire-Partei „Die PARTEI“ erlangt 1,9 Prozent und damit abermals zwei Sitze in Strassburg und Brüssel. Damit dürften Martin Sonneborn und Sibylle Berg trotz weniger Stimmen als 2019 in gewohnter Stärke ins Parlament einziehen. Bergs Vorgänger Nico Semsrott war im Streit gegangen.

Europawahl gilt als „weniger wichtig“ – zum Vorteil für Kleinparteien

Mit je einem Sitz dürfen die Tierschutzpartei (1,4 Prozent), die Ökologisch Demokratische Partei, ÖDP (0,6/0,7), und die Familienpartei (0,6) rechnen. Auf der Kippe steht wohl noch die linksliberale „Partei des Fortschritts“ (PdF, 0,6). Keinen Sitz wird es für die Piraten-Partei geben, die in der Vergangenheit auf Bundesebene für Aufsehen sorgte, mit 0,5 Prozent aber von der großen Bühne verschwunden ist.

Auch für die Letzte Generation, die erstmals bei einer Wahl antrat, reicht es nicht für einen Sitz. Da es bei der Europawahl, anders als nationalen Abstimmungen wie Bundestagswahl oder Landtagswahlen, keine Sperrklausel gibt, genügen oft schon Stimmenanteile von unter einem Prozent, um eine Abgeordnete oder einen Abgeordneten zu stellen.

Ein weiterer Grund für den Erfolg von kleinen Parteien auf europäischer Bühne ist laut Politologe und emeritiertem Professor der Uni Mainz, Jürgen Falter, dass die Europawahl in den Augen vieler als „weniger wichtig“ gilt: „Da kann man auch unbedenklich einmal expressiv wählen und strategische Erwägungen, ob man seine Stimme bei der Wahl von Kleinstparteien nicht verschenkt, vergessen“, sagt Falter IPPEN.MEDIA.

Erstwähler tendieren in der Europawahl stark zu Kleinparteien

Beim Blick auf Alterskohorten wird deutlich, wer den Kleinparteien zuneigt: Erstwählerinnen und Erstwähler. So stimmten laut Nachwahlbefragungen des Instituts infratest dimap unter den 16- bis 24-Jährigen insgesamt 28 Prozent für Kleinparteien, die oft unter „Sonstige“ zusammengefasst werden.

Besonders Volt war bei jungen Menschen beliebt. Für Politologe Falter ist das keine Überraschung. „Jungwähler tendieren ohnehin dazu, anders abzustimmen, als die Alten es von ihnen erwarten. Da haben sich Parteibindungen noch nicht festgesetzt“, so der Experte. „Ihr Wahlverhalten ist im Allgemeinen stärker idealistisch motiviert, was von kleinen Parteien mit ihren radikaleren und manchmal auch abwegigeren Forderungen stärker erfüllt wird als von den etablierten Parteien.“ Auch die AfD profitiere davon.

Doch diese Erfolge dürften zum Leidwesen der kleinen Parteien bald Geschichte sein. Ab der nächsten Wahl soll die Zeit ohne Sperrklausel zu Ende gehen und eine Zwei-Prozent-Hürde gelten. Mit dem aktuellen Ergebnis würden damit die meisten der aktuell erfolgreichen Kleinparteien nicht mehr ins Parlament einziehen. Viele andere EU-Staaten haben bereits eine Sperrklausel. Die PARTEI scheiterte zuletzt vor dem Bundesverfassungsgericht mit einer Beschwerde gegen die künftige Klausel.

Rubriklistenbild: © IMAGO/Christian Ohde

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