Martin Bieberle und Mirja Dorny machen deutlich: Weil Industrie- und Militärgelände umgewandelt wurden, ist Hanau beim Wohnen besser aufgestellt als andere Orte im Rhein-Main-Gebiet.
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Martin Bieberle und Mirja Dorny machen deutlich: Weil Industrie- und Militärgelände umgewandelt wurden, ist Hanau beim Wohnen besser aufgestellt als andere Orte im Rhein-Main-Gebiet. Herausforderungen gibt es dennoch: Rund ein Drittel der städtischen Gebäude gehören zu den schlechtesten Energieklassen.

Wirtschaftsmagazin

Interview zum Hanauer Wohnungsmarkt – „Abriss ist in der heutigen Zeit eigentlich absurd“

  • Holger Weber-Stoppacher
    VonHolger Weber-Stoppacher
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  • Yvonne Backhaus-Arnold
    Yvonne Backhaus-Arnold
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Bezahlbar soll das Wohnen hier sein und lebenswert zugleich. Die Gestaltung der Innenstädte steht in einem Spannungsverhältnis. Das merken auch Hanaus Stadtplaner Martin Bieberle und Mirja Dorny, Chefin der Baugesellschaft, bei ihrer täglichen Arbeit.

Hanau – Im Interview mit unserer Zeitung sprechen sie über die Zukunft des gerade von der Stadt erworbenen Kaufhofgebäudes, neue Wohnformen, die Herausforderung der Energiewende sowie Angebote, die dafür sorgen sollen, dass Hanau attraktiv bleibt.

Frau Dorny, Herr Bieberle, Warum spielt das Thema Wohnen bei der Neukonzeptionierung des Kaufhof-Gebäudes am Hanauer Marktplatz keine Rolle?
Bieberle: Wir könnten auch Apartmentwohnungen unterbringen, schöne und interessante Wohnformen. Dies hätte Vorteile mit Blick auf Fördermittel. Andererseits wäre Wohnen aufgrund des Investitionsvolumens die anspruchsvollste Transformation des Gebäudes. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Thema Wohnen im Kaufhof in 20 oder 30 Jahren mal interessant sein wird. Jetzt ist es allerdings so, dass wir Nutzungen suchen, die außergewöhnlich sind. In der Stadt selbst haben wir eigentlich ausreichend Wohnraum, sodass wir beim Kaufhof derzeit keinen Bedarf sehen. Interessante andere Wohnformen machen wir an anderer Stelle, zum Beispiel in dem Haus an der Hammerstraße über der Einzelhandelsfläche von Lorey. Da wollen wir Wohngemeinschaftswohnungen herstellen. Dafür gibt es definitiv einen Bedarf.
In Hanau gibt es ausreichend Wohnraum?
Bieberle: Der Wohnungsmarkt ist ja nie lokal, sondern regional. Und im gesamten Rhein-Main-Gebiet fehlt natürlich sehr viel Wohnraum. Hanau hat aber durch die Konversion, Industrie wie Militär, seinen Beitrag für dieses regionale Thema geleistet. Wir haben deutlich über den Hanauer Wohnungsmarkt hinaus Wohnraum für die Region geschaffen. Wir haben rund 4 500 Wohneinheiten hergestellt und die gleiche Zahl noch einmal in der Pipeline. Und es gibt stille Reserven, also Leerstand in der Stadt. Wir müssen jetzt erst mal im positiven Sinne Wachstumsschmerzen verarbeiten, also soziale Infrastruktur nachziehen, die Verkehrswende organisieren. Wir sind von 88 000 auf 106 000 Einwohner gewachsen. Das ist ein Riesending, das merkt auch jeder in der Stadt. Ich glaube aber, dass wir in Hanau unter dem Gesichtspunkt von Angebot und Nachfrage einen relativ stabilen Wohnungsmarkt haben. Wir verfolgen die Strategie, dass wir die großen Projekte vorantreiben, zum Beispiel Bautz. Gleichzeitig verzichten wir darauf, jeden Quadratmeter, den wir in der Stadt haben, zusätzlich nachzuverdichten. Für die nächste Generation wollen wir im Rahmen der Fortschreibung des regionalen Flächennutzungsplans weitere Wachstumschancen als Option anbieten. Das werden wir mit einem Beschluss zur gemeinwohlorientierten Wohnungsmarktpolitik begleiten, heißt zum Beispiel feste Quoten von bezahlbarem Wohnraum – wie bei Pioneer realisiert und bei Bautz vorgesehen.
Dorny: … oder zur Freude der dort wohnenden Menschen. Wir haben gleich zu Beginn meiner Tätigkeit über eine Nachverdichtung auf einem Grundstück nachgedacht. Aber auf dem Grundstück stand ein alter Kastanienbaum eingebettet in ein von den Mieterinnen und Mietern mit viel Liebe gepflegtes Kleinod. Wir haben ihn gelassen, um den Mieterinnen und Mietern das nicht zu zerstören.
Bieberle: Genau, das war in der Nähe des Vinzenz-Krankenhauses und ist ein wunderbares Beispiel. Das sind Dinge, die wir nicht anfassen.
Sie sprechen von den großen Projekten. Im Pioneer-Park gibt es noch erhebliche Lücken, auf dem Bautz-Gelände tut sich bisher auch noch gar nichts.
Bieberle: Bautz dauert länger, aber wir bereiten gerade für das erste Halbjahr 2024 den Satzungsbeschluss vor. Der Investor Buwog will das realisieren, es ist eines der wenigen Projekte in Deutschland, das das Unternehmen derzeit noch auf dem Schirm hat. Wegen der konjunkturellen Lage, also das Wegbrechen des gesamten Käufermarkts, ist die Buwog nicht böse, dass das Unternehmen jetzt nicht bauen muss. Ich gehe davon aus, dass die ersten Kräne dort Ende nächsten Jahres aufgestellt werden. Die Realisierungsdauer dieses Quartiers würde ich auf etwa zehn Jahre rechnen.
Was macht das Bautz-Gelände für den Investor so attraktiv?
Bieberle: Es gibt eine dauerhafte Nachfrage nach Wohnraum in Ballungszentren. Die sehe ich nicht gebrochen, vielleicht eher unterbrochen. Es wird also nachhaltig Nachfrage geben. Zweitens hat der Investor bereits erhebliche Vorlaufinvestitionen in das Projekt gesteckt. Und er sieht in Hanau Stabilität.
Welche Rolle spielt die Baugesellschaft beim Thema neue Wohnungen?
Dorny: Wir konzentrieren uns auf unsere Bestände. Hier haben wir – auch mit Blick auf die Klimaziele – noch viel zu tun. Es ist nicht unser Bestreben, ein komplett neues Quartier oder viele neue Wohnungen zu bauen.
Was tut die Baugesellschaft dann?
Dorny: Wir bauen nur in bestehenden Quartieren. Gerade haben wir beispielsweise durch eine Dachgeschossaufstockung auf dem Teichweg-Areal unseren Wohnungsbestand von 4 234 auf 4 243 Wohnungen erweitert. Hinzu kommt, dass wir hohe energetische Anforderungen haben. Hanau möchte bekanntlich bis 2040 klimaneutral sein. Wir müssen sehr genau darauf schauen, was wir in den kommenden Jahren in unsere bestehenden Gebäude investieren müssen.
Am Teichweg wurde durch eine Dachgeschossaufstockung neuer Wohnraum geschaffen. Der Bestand der Baugesellschaft ist dadurch auf 4243 Wohnungen gewachsen.
Wie gehen Sie dabei vor?
Dorny: Wir gehen sehr strategisch in eine Portfolio-Analyse, bei der wir uns den energetischen Zustand all unserer 263 Gebäude anschauen. Etwa 30 Prozent unserer Gebäude sind noch in den drei schlechtesten Energieklassen. Wir müssen also sehr genau überlegen, wie wir damit umgehen. Dabei kommt es natürlich auch auf die gesetzlichen Vorgaben an.
Stichwort Nachverdichtung und Versiegelung. Rund um die Wallonisch-Niederländische Kirche und auch am Freiheitsplatz ist sehr viel Beton verbaut worden.
Bieberle: Der Freiheitsplatz ist aus der Funktion heraus ein steinerner Platz geworden. Unter dem Gesichtspunkt, dass die Bäume noch größer werden und es ein Wasserspiel gibt, bin ich mit dem Freiheitsplatz aber total im Reinen. Gleiches gilt für die Wallonisch-Niederländische Kirche. Wenn die Bäume mal gewachsen sind, werden Sie sehen, dass es ein grüner, beschatteter Platz wird. Ansonsten gilt, dass die Kollegen von Hanau Infrastruktur neue Wege gehen. Wasser, das früher einfach weggepumpt wurde, wird heute zur Bewässerung von Bäumen verwendet. Da passiert im aktiven Leben ununterbrochen ein Umdenken. Ansonsten achten wir in der Stadtgestaltung auf schattenspendende Elemente. Miniwälder sollen beispielsweise Bestandteil unseres Stadtmobiliars werden.
Der demografische Wandel sorgt für neue Wohnformen wie zum Beispiel Mehrgenerationenhäuser. Inwiefern trägt die Stadt diesem Wandel Rechnung?
Dorny: Wir haben eine vermehrte Nachfrage nach kleinen Wohnungen, also Appartements mit ein oder zwei Zimmern, aber auch nach großen Wohnungen für Familien mit zwei, drei oder mehr Kindern. Zum Thema demographischer Wandel: Bei unseren Modernisierungsmaßnahmen schauen wir, dass wir beispielsweise durch den Bau von Aufzügen dazu beitragen, dass Menschen, die schon sehr lange in den Wohnungen leben, nicht gezwungen sind, in ein Pflegeheim umzuziehen, nur weil sie nicht mehr so mobil sind. Den Mehr-Generationen-Gedanken haben wir unter anderem am Hafentor realisiert, wo sich Wohnungen für WGs anbieten. Zudem haben wir durch die Ateliers eine Mischung zwischen jungen und älteren Menschen geschaffen.
Bieberle: Wir haben uns auch mit dem Modell genossenschaftliches Wohnen auseinandergesetzt, also Wohnformen für Menschen, die zwar Single sind, aber nicht allein leben wollen. Mir persönlich sind diese Wohnformen meist zu exklusiv. Die Idee, so etwas in einer Liegenschaft der Baugesellschaft umzusetzen, also für Mieter, fände ich aber gut.
Was sind die Grundelemente dieser Wohnform?
Bieberle: Die Wohnungen selbst werden kleiner, dafür hat man mehr Gemeinschaftseinrichtungen auf den Flächen. Etwa einen gemeinsamen Raum, in dem Bücher und eine Kaffeemaschine stehen oder eine Küche zum gemeinsamen Kochen. Es gibt in der Regel ein Foyer, wo ein Sessel steht, wo ich Sozialkontakte bekomme, wenn ich das will. So etwas mieten zu können, finde ich spannend.
Wie ermitteln Sie den Bedarf, gibt es da Studien?
Bieberle: Das große Thema ist, Wohnraum zu schaffen, der bezahlbar ist, mit verschiedenen Körnungen für verschiedene Lebenssituationen. Daneben gibt es einen wachsenden Bedarf für Menschen, die älter werden, ihre großen Wohnungen verlassen wollen und sich nach Gemeinschaft sehnen. Das ist so, dafür brauche ich keine Studien.
Dorny: In erster Linie geht es immer erst einmal darum, eine Wohnung zu finden, die bezahlbar ist. Dass es eine riesige Nachfrage nach solchen Wohnformen gibt, ist bei uns nicht der Fall. Dennoch werden solche Initiativen immer wieder an uns herangetragen. Bei Wohnungsgenossenschaften wird dieser Gedanke der Beteiligung und Mitbestimmung ja noch ganz anders gelebt als bei kommunalen oder privaten Wohnungsunternehmen.
Bieberle: Vielfalt ist generell ein Thema. Eine Stadt oder eine Region muss die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen abdecken. Der eine mag eine perfekt ausgebaute Eigentumswohnung, der andere lieber das Einfamilienhaus; wobei ich glaube, dass die Zeit der Einfamilienhäuser vorbei ist, allein wegen des Flächenverbrauchs. Es wird in Ballungsräumen nicht mehr so die großen Siedlungen auf der grünen Wiese geben.
Ist der Überbau von Supermärkten in Hanau ein Thema?
Bieberle: Ja, zum Beispiel bei dem brachliegenden Grundstück von Opel Brass in der Hanauer Vorstadt, das Lidl gehört. Heute muss man in der Innenstadt immer so denken, dass auf die Einzelhandelsfläche unten oben etwas drauf muss. Ansonsten wäre das Verschwendung. Das ist absolut ein Thema. Aber auch das Hochhaus an der Eugen-Kaiser-Straße, wo jetzt das Kommunale Center für Arbeit sitzt, könnte ein gutes Beispiel für Transformation werden: Appartements statt Büroräume. Da sind wir mit dem Eigentümer im Gespräch. Abriss ist in der heutigen Zeit eigentlich absurd, vor allem aus ökologischen Gründen.
In den Innenstädten stehen ja immer mehr Läden leer. Können Sie sich vorstellen, dass dort ebenfalls Wohnraum entsteht?
Bieberle: Der Wohnraum im Erdgeschoss einer Fußgängerzone ist sozusagen die letzte Option (lacht). Das ist dann das Ende für lebendige Zentren. Wir haben ja am Altstädter Markt mit der Baugesellschaft in den vergangenen Jahren das Gegenteil gemacht, also aus Wohnungen Ladenlokale gebaut. Wichtig ist allerdings, dass in einer Innenstadt Menschen leben. Sie müssen dort wohnen, arbeiten, einkaufen, Bier trinken. Die Vielfalt macht’s. Das bringt natürlich auch Zielkonflikte mit sich, wenn jemand in die Altstadt zieht und sich dann ärgert, dass vor der Kneipe unten geraucht wird. Aber solche Konflikte muss man aushalten. Da ist noch viel Potenzial, wenn man sieht, wie viel Wohnraum in Hanau leer steht. Da muss man ran.
Dorny: Wir haben auch noch ein paar Wohnungen in der Innenstadt, die leer stehen, weil sie sehr teuer in der Instandsetzung sind. Wenn dort Menschen 40 Jahre und länger drin gewohnt haben, müssen wir teilweise bis zu 100 000 Euro investieren, um eine solche Wohnung wieder an den Markt zu bringen. Aber dieses Potenzial haben wir eben noch, auch wenn es nur ein bis zwei Prozent sind.
Ist die Nachfrage bei Wohnungen der Baugesellschaft denn größer als das Angebot?
Dorny: Das kommt darauf an, woran Sie das bemessen. Bei vielen ist es so, dass sie nicht akut eine Wohnung suchen. Sondern einfach gern in einen anderen Stadtteil umziehen oder sich vergrößern beziehungsweise verkleinern möchten. Wenn man diesen Bedarf berücksichtigt, haben wir eine Liste von 1 000 Wohnungssuchenden, aber nur 300 Wohnungen, die wir unterjährig vermieten können.
Bieberle: Es gab ja mal in den 90ern die Entwicklung, dass viele Städte den Bestand ihrer Wohnungsbaugesellschaften verkauft haben. Die sind heute nicht sehr glücklich darüber. Wir haben in Hanau eine starke städtische Baugesellschaft und wir haben mit der Nassauischen Heimstätte ein weiteres starkes öffentliches Wohnungsbauunternehmen vor Ort. Die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum ist eine wichtige öffentliche Aufgabe.
Zusätzlichen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ist derzeit geradezu unmöglich angesichts der Baukosten und Zinsen.
Dorny: Das ist richtig. Wir haben unter anderem auch deshalb aktuell keine weiteren Neubauten geplant. Zudem müssten wir diese auch für mindestens 13 oder 14 Euro pro Quadratmeter vermieten, um überhaupt annähernd eine Wirtschaftlichkeit zu erreichen. Der Bund hat im vergangenen Jahr das Wohngeld reformiert, darauf haben wir unsere Mieterinnen und Mieter noch einmal hingewiesen. Wir haben eine Durchschnittsmiete, die unter sieben Euro pro Quadratmeter liegt. Die öffentlich geförderten Wohnungen liegen bei 5,28 Euro. Wir sprechen sehr viele Menschen an mit unseren Produkten, wenn auch nicht solche, die eine Luxuswohnung suchen.
Hanau will bis 2040 klimaneutral werden. Das bedeutet große Investitionen in Bestandsbauten. Müssen die Mieter fürchten, dass die Kosten auf sie umgelegt werden?
Dorny: Es ist gesetzlich begrenzt, was wir an Modernisierungskosten umlegen dürfen. Es waren bis vor einigen Jahren elf Prozent, jetzt sind es nur noch acht Prozent. Wir müssen genau schauen, wie wirtschaftlich solche Maßnahmen sind. Wir überlegen zum Beispiel, wie sinnvoll es ist, auf einem Gebäude eine 30 Zentimeter dicke Dämmung anzubringen, die Fenster auszutauschen, das Dach und die Leitungen zu erneuern. Das sind so viele Maßnahmen, die einen massiven Eingriff in den Bestand bedeuten. Wir sind gerade dabei, auszurechnen, was das überhaupt für Einsparungen bringt. Dabei spielen auch Überlegungen eine Rolle, inwieweit es möglich ist, die Fernwärme der Stadtwerke oder die Nahwärme eines Blockheizkraftwerks zu nutzen. Wir müssen überlegen, was heißt das am Ende für uns, aber auch für unsere Mieterinnen und Mieter.
Bieberle: Wenn man nur das eine Thema Klimaneutralität sieht und alles andere vollkommen ausblendet, wird’s schwierig.
Dorny: Wir leben in einem Spannungsdreieck zwischen Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und Bezahlbarkeit. Da stoßen wir oft an unsere Grenzen. Wir hoffen deshalb unter anderem auf die Verbesserung der Förderung.

(Von Yvonne Backhaus-Arnold und Holger Weber-Stoppacher)

Vor der Wallonisch-Niederländischen Kirche soll aufgrund der gepflanzten Bäume ein schattiger Platz entstehen.