„Migration: Was falsch läuft“

Zoff um neues ARD-Magazin „Klar“: „Tiefpunkt“ oder „neues Level an Meinungsvielfalt“?

  • VonAlexander Teske
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Das ARD-Magazin „Klar“ kann als Versuch gesehen werden, für Meinungsvielfalt zu sorgen. So richtig wohl scheint sich der Sender damit nicht zu fühlen.

München/Hannover – Jan Böhmermann beginnt sein „ZDF Magazin Royale“ mit einem Frontalangriff auf die Kollegen der ARD: „Wenn demnächst in Ihrer Wehrsportgruppe oder beim AfD-Kinderturnen überraschend ein verzweifelter Redakteur vom NDR oder vom BR vorbeikommt und Sie fragt, ob Sie vielleicht Lust haben, ein eigenes, journalistisches Klartext-Format im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu moderieren und Sie sich dann unsicher sind, wie Sie diesen ganzen rechtspopulistischen Quatsch in Ihrer Birne als seriösen Journalismus verkaufen können, dann habe ich einen kleinen Tipp für Sie.“ Man müsse nur einen Satz sagen: „Was jetzt kommt, wird vielleicht nicht jedem gefallen.“

Böhmermanns Kritik: Damit könne man „jede noch so große Schweinerei, die Ihnen durch die Rübe geht, jede Dummheit, jede Unmenschlichkeit und jeden Irrsinn als ernsthaft debattierbares Thema in den Medien verkaufen“. Was war passiert?

„Migration: was falsch läuft“: ARD probiert sich an konservativerem TV-Magazin

Die ARD hat ein neues Format namens „Klar“ entwickelt. Moderatorin Julia Ruhs hatte die erste Folge genau so begonnen: „Was jetzt kommt, wird vielleicht nicht jedem gefallen.“ Verantwortet wird die Reportage von NDR und BR. Das Thema der ersten Ausgabe lautet: „Migration: was falsch läuft“. Auf YouTube wurde der Film bisher 110.000 Mal abgerufen. Im NDR haben ihn live 169.000 Menschen gesehen.

„Klar - Was Deutschland bewegt“ heißt das neue Magazin von NDR und BR. Doch die Sendung mit Julia Ruhs steht im Kreuzfeuer.

„Klar“ kann als Versuch der ARD gesehen werden, wieder für mehr Meinungsvielfalt zu sorgen. Denn einige Medienwissenschaftler und zahlreiche Zuschauer werfen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk seit Jahren vor, seinem Auftrag, alle relevanten Meinungen der Gesellschaften adäquat abzubilden, nicht mehr gerecht zu werden.

Der Befund lautet: ARD, ZDF und Deutschlandfunk haben eine links-grüne Schlagseite. Nur wenige Formate wie „Nuhr im Ersten“ oder der Podcast „Kaffee, extra schwarz“ haben eine konservative Ausrichtung. Dafür überwiegen Sendungen wie „Monitor“, „Panorama“, „Miosga“ und „Neues aus der Anstalt“ oder die „heute Show“ in denen sich eher Wähler von SPD, Grünen und Linken wiederfinden.

„Klar“ bekommt Applaus von rechts und Schelte von links – ARD fühlt sich offenbar nicht wohl

So richtig wohl scheint sich die ARD mit ihrem neuen Format auch nicht zu fühlen: In keiner Mediathek erscheint „Klar“ auf den Start-Kacheln oder den ersten Ergebnissen der Rubriken. Man muss die Sendung umständlich über die Sucheingabe ansteuern. Es gab auch keine große Werbeaktion dafür.

In der Reportage kommen selten gehörte Stimmen zu Wort: Kaare Dybvad, dänischer Minister für Ausländer und Integration, der Migrationsforscher Ruud Koopmans, mehrere Migranten selbst, Levi Salomon, der antisemitische Straftaten dokumentiert, oder Michael Kyrath, dessen Tochter von einem Asylbewerber erstochen wurde.

Seit der Erstausstrahlung von „Klar“ am 9. April um 22 Uhr tobt nun ein Streit um die Sendung. Linke Medien wie nd oder taz meinen, dass der „journalistische Standard leiden“ würde. Konservative Medien wie Welt oder Apollo News bescheinigen den Kritikern eher „Realitätsschmerzen“ und sprechen von einem „neuen Level an Meinungsvielfalt“, was „Wahnsinn“ sei. Auf der anderen Seite stehen die „Neuen deutschen Medienmacher:innen“: Der Film sei „ein Tiefpunkt in der Berichterstattung“ und „ein wilder Ritt durch migrationsfeindliche Narrative“. Die NGO regt an, den Redaktionen zu schreiben.

„Rechtspopulistischer Takes normalisiert“: Auch NDR-Mitarbeiter nehmen demonstrativ Abstand

Was die Moderatorin Ruhs auf X so kommentiert: Es sei „unglaublich“ und habe „ein Geschmäckle“, da die NGO „durch Steuergeld finanziert werde“. Über 545.000 Euro waren es allein 2024. Auch die Initiative „Antiverschwurbelt“ spricht von „Spaltung“, „Verzerren“ und „Emotionalisieren“.

Doch nicht nur Böhmermann, auch andere öffentlich-rechtliche Kollegen kritisieren „Klar“. So teilt die Leiterin des ARD-Büros London einen Tweet, der Ruhs mit „neurechten Aktivisten“ vergleicht und von „Journalismus, der keiner ist“, spricht. Und Nicole Diekmann vom ZDF hält Ruhs für einen „Teenie“. Moderator Daniel Broeckerhoff wirft der Sendung vor, „rechtspopulistische Takes normalisiert“ zu haben. „Als freier Mitarbeiter des NDR“ distanziere er sich von „dieser Produktion“.

Und Frederik Merten, ein für den NDR-arbeitender Cutter, der auch an der „Klar“ beteiligt war, schimpft: „Es war mit Abstand die schlimmste Produktion, an der ich jemals mitgearbeitet habe.“ Er halte sich zugute, dafür gesorgt zu haben, dass die Sendung nicht noch mehr nach „Stammtisch-Gerede“ ausgesehen habe.

ARD-Sendung „Klar“ polarisiert – BR und NDR reagieren

Und die Sender? Äußern sich öffentlich nicht zu der Kritik an der Sendung und ihrer Redakteurin. Auf Anfrage teilt eine Sprecherin von BR und NDR aber mit: „Unser Auftrag ist es, mit unseren Programmen die freie und demokratische Meinungsbildung zu fördern und zur Sicherung der Meinungsvielfalt beizutragen. Dazu gehört es, regelmäßig auch neue Formate auszuprobieren. Uns erreichen gleichermaßen positive wie kritische Reaktionen. Beides lassen wir in die redaktionelle Auswertung einfließen. Frau Ruhs ist freie Mitarbeiterin und arbeitet für verschiedene Medien, so auch weiterhin für den BR. Daran gibt es keinen Zweifel. Der BR steht dafür, dass vielfältige Perspektiven im Programm Platz haben. So stellen wir Pluralität und Ausgewogenheit sicher.“

Lachanfälle, Versprecher, Verwechslungen: Diese „Tagesschau“-Pannen bleiben unvergessen

Da staunte Joachim „Jo“ Brauner nicht schlecht: Als er am 31. August 1995 den Nachrichtenblock in den „Tagesthemen“ vorlas, unterbrach ihn plötzlich Ulrich Deppendorf.
Da staunte Joachim „Jo“ Brauner nicht schlecht: Als er am 31. August 1995 den Nachrichtenblock in den „Tagesthemen“ vorlas, unterbrach ihn plötzlich Ulrich Deppendorf. „Entschuldigung, ich hätte noch eine Meldung“, teilte Brauner seinem Kollegen freundlich mit. © Screenshot tagesschau.de („Tagesschau-Pannen im Lauf der Jahrzehnte“)
Eigentlich sollte in der „Tagesschau“ eine Schalte zu Claus Kleber nach Washington, D.C., stattfinden. Stattdessen sah man plötzlich einen Mann am Telefon.
Eigentlich sollte in der „Tagesschau“ eine Schalte zu Claus Kleber nach Washington, D.C., stattfinden. Stattdessen sah man plötzlich einen Mann am Telefon. „Was sehen wir jetzt?“, fragte die Nachrichtensprecherin überrascht und fügte hinzu: „Ich würde lieber Claus Kleber sehen.“ © Screenshot tagesschau.de
Am 7. August 2001 wollte „Tagesschau“-Sprecher Jens Riewa, damals 38 Jahre alt, gerade die Börsendaten vorlesen, konnte sich aber einen kurzen Lacher nicht verkneifen.
Am 7. August 2001 wollte „Tagesschau“-Sprecher Jens Riewa, damals 38 Jahre alt, gerade die Börsendaten vorlesen, konnte sich aber einen kurzen Lacher nicht verkneifen. © Screenshot tagesschau.de
Jens Riewa las in der „Tagesschau“ am 21. Februar 2005 eine falsche Meldung vor und suchte anschließend wild in seinen Unterlagen nach der richtigen – vergebens.
Jens Riewa las in der „Tagesschau“ am 21. Februar 2005 eine falsche Meldung vor und suchte anschließend wild in seinen Unterlagen nach der richtigen – vergebens. „Das kommt vor. Wir bitten um Ihr Verständnis“, sagte der Nachrichtensprecher. © Screenshot tagesschau.de („Tagesschau-Pannen im Lauf der Jahrzehnte“)
In der „Tagesschau“ am 12. Juni 2008 moderierte Susanne Daubner das Wetter an. Doch die Wettervorhersage blieb aus.
In der „Tagesschau“ am 12. Juni 2008 moderierte Susanne Daubner das Wetter an. Doch die Wettervorhersage blieb aus. Ohne sich von der Panne etwas anmerken zu lassen, kündigte sie an: „Also es ist auf jeden Fall nicht mehr so schön wie die letzten Tage.“ © Screenshot tagesschau.de („Tagesschau-Pannen im Lauf der Jahrzehnte“)
Claus-Erich Boetzkes, der die „Tagesschau“ von 1997 bis Ende 2021 präsentierte, leistete sich am 28. April 2009 einen witzigen Versprecher. Er nannte den deutschen Autobauer Opel „Aupel“.
Claus-Erich Boetzkes, der die „Tagesschau“ von 1997 bis Ende 2021 präsentierte, leistete sich am 28. April 2009 einen witzigen Versprecher. Er nannte den deutschen Autobauer Opel „Aupel“. © Screenshot tagesschau.de
In den ARD-„Tagesthemen“ am 17. April 2012 entschuldigte sich Nachrichtensprecherin Susanne Daubner für die „technischen Probleme“ während der Live-Sendung und musste plötzlich laut lachen.
In den ARD-„Tagesthemen“ am 17. April 2012 entschuldigte sich Nachrichtensprecherin Susanne Daubner für die „technischen Probleme“ während der Live-Sendung und musste plötzlich laut lachen. „Ich hoffe, Sie hören mich noch. Wir haben hier einen Ton drin“, erklärte sie. © Screenshot tagesschau.de („Tagesschau-Pannen im Lauf der Jahrzehnte“)
Einsatz verpasst: In den „Tagesthemen“ am 10. August 2012 verschränkte Nachrichtensprecher Marc Bator kurzzeitig die Arme.
Einsatz verpasst: In den „Tagesthemen“ am 10. August 2012 verschränkte Nachrichtensprecher Marc Bator kurzzeitig die Arme. Als ihm auffiel, dass er wieder live im TV zu sehen ist, bat er die Zuschauer um „Verzeihung“. © Screenshot tagesschau.de („Tagesschau-Pannen im Lauf der Jahrzehnte“)
Claus-Erich Boetzkes leistete sich am 9. Dezember 2021 in der 15-Uhr-Ausgabe der ARD-„Tagesschau“ einen peinlichen Versprecher.
Claus-Erich Boetzkes verwechselte am 9. Dezember 2021 in der 15-Uhr-Ausgabe der ARD-„Tagesschau“ Bundeskanzler Olaf Scholz mit Altkanzler Helmut Kohl, der bereits viereinhalb Jahre zuvor verstorben war. © Screenshot tagesschau.de („Tagesschau-Pannen im Lauf der Jahrzehnte“)
Anfang 2022 führte Caren Miosga in den „Tagesthemen“ ein Live-Interview mit Wolfgang Ischinger, dem ehemaligen Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz.
Anfang 2022 führte Caren Miosga in den „Tagesthemen“ ein Live-Interview mit Wolfgang Ischinger, dem ehemaligen Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Dieser wähnte sich offenbar im ZDF und verwechselte Miosga mit „heute journal“-Moderatorin Marietta Slomka. So sprach er Miosga konstant mit „Frau Slomka“ an, obwohl diese anfangs nochmal richtiggestellt hatte: „Miosga heiß ich.“ © Screenshot tagesschau.de („Tagesschau-Pannen im Lauf der Jahrzehnte“)
Susanne Daubner
„Tagesschau“-Sprecherin Susanne Daubner wurde mitten in den Morgennachrichten von einem hartnäckigen Lachanfall heimgesucht. © ARD-aktuell/dpa
Nachrichtensprecher Jens Riewa präsentierte die ARD-„Tagesschau“ teilweise ohne Grafiken im Hintergrund.
Nachrichtensprecher Jens Riewa präsentierte die ARD-„Tagesschau“ teilweise ohne Grafiken im Hintergrund. © Screenshot ARD („Tagesschau“)

„Klar“ ist vorerst auf drei Folgen angelegt. Die dritte und letzte Folge soll am 11. Juni im NDR laufen. Ob und wie es danach weitergehen wird, steht noch nicht fest. (Alexander Teske)

Rubriklistenbild: © NDR/BR/Markus Konvalin