Einzigartig in Europa
Schwimmende Sauna und weltbeste Bibliothek: Brennpunktviertel ist jetzt Vorzeigequartier
VonPeter Siebenschließen
Die Gegend um den Fjord von Oslo war einst verrufen, laut und dreckig. Heute sind hier moderne Museen und schicke Wohnhäuser. Doch die Entwicklung ist noch nicht zu Ende.
Oslo – Nur kurz steht der nahezu nackte Mann am Ufer, dann macht er Ernst: Unter lautem Schnaufen taucht er seinen massigen Körper immer tiefer in das eiskalte Wasser. Die Schwäne und Enten um ihn herum achten kaum auf ihn, die kennen das schon. Tatsächlich gehört es inzwischen für die Osloer zum Alltag, ab und an ein Bad in ihrem Fjord zu nehmen, erklärt Stein Kolstø: „Du musst danach direkt in die Sauna. Das ist der Trick.“ Der Direktor vom städtischen Planungsbüro führt an diesem eisigen Vormittag durch Bjørvika, den neuen Stadtteil von Norwegens Hauptstadt Oslo, auf den sie hier besonders stolz sind.
Einst hässliche Industriebrache, jetzt kulturelles Zentrum: Bjørvika in Oslo früher und heute




Neuer Stadtteil von Oslo: Im Fjord schwimmt eine Sauna mit echtem Holzfeuer
Wer aus dem Hauptbahnhof von Oslo nach draußen tritt, ist direkt mittendrin: moderne Museen, ein Opernhaus, das wie ein Gletscher aussieht und ein langgezogener Meeresfjord, in dem sich die Unendlichkeit von Norwegens Winterhimmel spiegelt. Und auf dem Wasser gibt es tatsächlich: schwimmende Saunen. Mit echtem Holzfeuer. Ein Ort zum Staunen, wenn man ihn zum ersten Mal sieht – und zum Wohlfühlen, wenn man hier lebt.
Unzugängliches Industriegelände mitten in der Hauptstadt von Norwegen
Das war nicht immer so. Noch bis weit in die 1990er Jahre war das gesamte Viertel ein unzugängliches Industriegelände. Der Fjord hatte mit der eigentlichen Stadt nichts zu tun, eine Schnellstraße schnitt ihn vom Rest ab. Am Wasser führte eine Eisenbahnstrecke entlang und am Ufer des Fjords waren Hafenterminals, Container und alte Lagerhäuser. „Das war keine angenehme Gegend hier. Es war laut, voller Smog und nicht sicher“, sagt Stein Kolstø.
In Aker Brygge auf der anderen Seite vom Fjord, wo heute schicke Büros in restaurierten historischen Lagerhäusern entlang einer Promenade untergebracht sind, gab es lange Zeit eine große Werft. Die machte 1982 dicht, als die Schiffsbauindustrie nach Asien abwanderte. „Da hat man sich zum allerersten Mal Gedanken darüber gemacht, wie man den Fjord in die Stadt integrieren kann“, erzählt Kolstø.
Erste Machbarkeitsstudien wurden erarbeitet und im Jahr 2000 beschloss die Stadt eine Fjordcity-Strategie. Die Containerterminals wurden weiter in den Süden ausgelagert, die Schnellstraßen unter die Erde verlegt. Wo einst jeden Tag 70.000 Autos über die Fahrbahn rasten, ist heute ein einzigartiger Ort der Ruhe: Die hochmoderne Deichman-Bibliothek, die vom Fachverband IFLA die Auszeichnung „Weltbeste Bibliothek“ erhalten hat. 2020 wurde sie eröffnet. Innen: viel Holz, moderne Ruheräume mit Loungemöbeln, ein Kino und Restaurants.
Weltbeste Bibliothek, Munch-Museum und Opernhaus in Oslo an einem Fleck
Und ganz oben bieten Panoramafenster einen spektakulären Blick auf den Fjord und die Oper, deren schneeweißes Dach man begehen kann. Bis spätabends ist die Bibliothek geöffnet, viele junge Osloer nutzen den Bau als Treffpunkt. Und gleich um die Ecke ist das neue Munch-Museum, wo tägliche tausende Touristen den „Schrei“ von Norwegens wohl berühmtestem Maler Edvard Munch anschauen. Fast überrascht sei man gewesen, dass sich die Kulturlandschaft so stark im Stadtteil entwickelt hat, sagt Planungsexperte Stein Kolstø.
Das Projekt war kostspielig, „verdammt teuer“, wie Kolstø sagt. Allein die Investitionen in die neuen Kulturinstitutionen hat 16 Milliarden Norwegische Kronen gekostet, das entspricht etwa 1,5 Milliarden Euro. „Eine wichtige Voraussetzung ist natürlich unsere ölverschmierte Wirtschaft, so nenne ich das mal“, so der Planer. Einst das Armenhaus Europas, hat sich Norwegen in den 1970er Jahren dank seiner Öl-Exporte zu einem der reichsten Länder der Welt entwickelt. Die Einnahmen aus dem Ölgeschäft landen zu großen Teilen im staatlichen Ölfonds, der immer weiter anwächst. „Durch das Öl ist nicht jeder Norweger reich, aber wir haben als Gesellschaft eine Menge Ressourcen, um sie in Projekte wie diese zu investieren“, erklärt Kolstø.
Fertig sei das Fjord-City-Projekt noch nicht. „Die Entwicklung wird bestimmt nochmal 40 Jahre dauern.“ Bald sollen 9.000 neue Wohnungen entstehen. Aktuell leben vornehmlich wohlhabende Menschen im Bereich von Bjørvika. „Aber wir haben festgestellt, dass das sozioökonomische Bild jetzt schon homogener wird.“ Stein Kolstø glaubt: „In 30 Jahren wird man kaum mehr einen Unterschied zwischen den Vierteln bemerken.“
Transparenzhinweis: IPPEN.MEDIA wurde von der norwegischen Botschaft in Berlin nach Oslo eingeladen.


