Interview mit Esa-Experte
„Es wird ein knappes Rennen zum Mond“
VonTanja Bannerschließen
Der Mond erlebt derzeit einen regelrechten Ansturm. Die aktuellen Missionen sind allerdings ganz anders als „Apollo“, sagt ein Esa-Experte im Interview.
Frankfurt – Seit einigen Jahren hat die Raumfahrt-Branche den Mond wieder ins Visier genommen. Doch in den vergangenen Jahren sind mehr Mondlande-Missionen gescheitert, als gelungen. Positive Ausnahmen sind die erfolgreiche Mondlandung Indiens im Sommer 2023 sowie die gelungene Landung Japans im Januar 2024. Doch woran liegt es, dass viele Mondlandungen scheitern und was bedeutet das für die geplanten Mondlandungen mit Menschen an Bord?
Nico Dettmann ist bei der europäischen Raumfahrtorganisation Esa Leiter der Gruppe Monderkundung und hat die Mondlande-Versuche verfolgt. Im Interview mit fr.de von IPPEN.MEDIA erklärt er, was die Unterschiede zwischen den früheren und den aktuellen Versuchen sind, warum der Mond plötzlich wieder im Fokus steht und wie sich die europäische Raumfahrt an der Rückkehr zum Mond beteiligt.
Warum der Mond derzeit im Fokus der Raumfahrt steht
Herr Dettmann, momentan steht der Mond im Fokus zahlreicher Raumfahrtmissionen. Warum wollen plötzlich alle zum Mond?
Das stimmt, der Mond hat sich ein bisschen in den Fokus gerückt. Das liegt unter anderem daran, dass wir seit ungefähr 2009 Daten vom „Lunar Reconnaissance Orbiter“ bekommen, der uns gezeigt hat, dass es insbesondere in den polaren Regionen, wo der Mond viele Krater hat, wahrscheinlich größere Vorkommen von vereistem Wasser gibt. Wasser ist nicht nur eine mögliche Lebensgrundlage, sondern eignet sich zum Erzeugen von Trinkwasser oder Atemluft. Es könnte auch verwendet werden, um zum Beispiel Treibstoffe herzustellen oder auch als Komponente zum Bau von Werkstoffen. Das ist der eine Grund.
Der andere Grund ist, dass wir mit den ganzen „Apollo“-Missionen in der Äquatornähe des Mondes gelandet sind. Dort kann man relativ einfach landen, weil dort die Oberfläche relativ eben ist. Es gibt also wenig Krater, wenig Unebenheiten. Wir wissen aber mittlerweile, dass die Gegenden um die Krater geologisch sehr viel interessanter sind. Die Krater sind entstanden durch Meteoriten-Einschläge und eben genau diese Materialien, die sich am Boden der Krater befinden, könnten, wenn man davon Proben nehmen könnte, weitere Erkenntnisse über den Ursprung des Universums geben.
Mittlerweile hat man auch die Technologien, um präziser zu landen, sprich sich diesen Kratern zu nähern, was angesichts der fehlgeschlagenen Missionen gerade etwas widersprüchlich erscheint.
Für die Wissenschaft geht es also unter anderem um das Wasser auf dem Mond. Und die Raumfahrt will bestimmt zeigen „wir können das“, oder?
Ja, es geht auch darum. Das ultimative Ziel für die bemannte Raumfahrt ist der Mars. Und es ist ganz klar, dass das Ziel, direkt zum Mars zu fliegen, in einem ersten Schritt zu herausfordernd wäre. Der Mond ist ein ideales Testbett, um erst einmal die Umgebung besser kennenzulernen und auch besser zu verstehen, was es bedeutet, wenn man auf Langzeitmissionen im sogenannten Deep Space geht.
Wieso Mondlandungen heute immer noch so schwer sind
Kürzlich ist die private Mission von Astrobotic noch vor der Mondlandung gescheitert, nur Tage später ist die japanische Landung gelungen. In der Vergangenheit sind zahlreiche weitere Versuche misslungen. Wieso sind denn Mondlandungen auch mehr als 50 Jahre nach den „Apollo“-Missionen noch so schwer?
Also erstmal muss man dazusagen, war „Apollo“ eine bemannte Mission und die Crew hat beim Landen nachhelfen können. Das ist bei den heute autonom durchgeführten Missionen nicht so. Ich glaube, im „Apollo“-Programm haben zu Spitzenzeiten fast eine Million Leute gearbeitet. Das heißt, auch die finanziellen Ressourcen, die man damals hatte, waren ganz andere. Es war eben politisch getrieben. Es ging darum, wer als erster seine Fahne in die Mondoberfläche rammen und den ersten Schritt auf den Mond machen konnte.
Die Missionen, die heute stattfinden und von denen auch leider einige fehlgeschlagen sind, die sind unter kommerziellen Aspekten durchgeführt, das heißt, sie sind deutlich günstiger – auch, weil man bewusst mehr Risiko in Kauf nimmt. Das sind unbemannte Missionen, sie sind auch günstiger, weil man weniger testet, weil auch das Design dieser Vehikel deutlich einfacher ist. Das heißt, es gibt weniger Redundanzen, es gibt keine automatische Fehlererkennung und Fehlerkorrektur.
Und einige dieser Missionen schlagen auch fehl, weil man neue Systeme ausprobiert. Neue Systeme, damit meine ich sogenannte „Hazard-Detection-Avoidance-Systeme“. Das sind Systeme, die während des Landeanflugs Hindernisse erkennen und dann automatisch eine Landeflugbahn auswählen, die eine sichere Landung erlauben soll. Die Systeme sind komplex, man baut sie deshalb ein, weil man dadurch eine wesentlich präzisere Landegenauigkeit erreicht, die man insbesondere braucht, wenn man in einer polaren Gegend landen möchte.
Es sind ja ganz unterschiedliche Player, die in den letzten Jahren zum Mond geflogen sind. Lernen sie voneinander? Sind sie untereinander vernetzt oder macht das jeder für sich und jeder muss die gleichen Fehler selber machen?
Bei den Missionen, die in letzter Zeit nicht geklappt haben, hat es immer an anderen Fehlern gelegen. Selbst die Entwicklung von diesen kommerziellen Landern dauert noch relativ lange. Natürlich versucht jeder Entwickler so viel wie möglich über die Fehler in anderen Missionen zu erfahren, um ähnliche Fehler am eigenen Produkt zu vermeiden. Aber da es sich ja um im Wettbewerb stehende Lander handelt, kann man nicht davon ausgehen, dass alle Daten transparent geteilt werden.
„Low-Cost-Lander“ fliegen zum Mond – das erhöht den Wettbewerb
Im Februar soll der Lander „Nova-C” auf dem Mond landen. Gerade gibt es einen richtigen „Run“ auf den Mond...
Dieser „Nova“-Lander ist ein weiterer Lander aus dem CLPS-Programm der Nasa. Das ist ein Programm, bei dem die Nasa einen Landeservice einkauft. Das heißt, der Lander ist nicht von der Nasa entwickelt worden. Er ist ein weiterer Low-Cost-Lander, was nicht bedeuten muss, dass er nicht funktionieren wird. Aus diesem Programm war die Mission von Astrobotic die Erste, die stattgefunden hat.
Es gibt im Rahmen dieses CLPS-Programms mindestens fünf verschiedene Lander-Anbieter, und „Nova“ ist jetzt der zweite Lander. Ich glaube, dass diese CLPS-Initiative sehr sinnvoll ist, nicht nur, weil sie den Wettbewerb fördert. Es werden wahrscheinlich nicht alle Lander-Provider überleben, aber es ist mit Sicherheit ein sehr probates Mittel, um Firmen mit guter Expertise zu identifizieren und die dann auch langfristig wachsen zu lassen.
| Mond-Missionen der vergangenen Jahre | |
|---|---|
| Chang'e 3 (China/CNSA) | Landung mit Rover Yutu im Dezember 2013 |
| Chang'e 4 (China/CNSA) | Landung mit Rover Yutu 2 im Januar 2019 |
| Beresheet (private israelische Mission/SpaceIL) | Absturz auf dem Mond im April 2019 |
| Chandrayaan-2 (Indien/ISRO) | Orbiter erreichte Mondumlaufbahn im August 2019, Lander stürzte ab |
| Chang'e 5 (China/CNSA) | Landung auf dem Mond im Dezember 2020, Rückführung von 1,7 kg Mondgestein |
| Artemis 1 (USA/Nasa) | Unbemannte Umkreisung des Monds im November 2022, erster Test des US-Raumschiffs Orion, das Astronauten zum Mond bringen soll |
| Hakuto-R (private japanische Mission) | Absturz im April 2023 mit Rover Rashid aus den Vereinigten Arabischen Emiraten |
| Chandrayaan-3 (Indien/ISRO) | Landung auf dem Mond im August 2023 |
| Luna-25 (Russland/Roskosmos) | Absturz im August 2023 |
| Slim (Japan/Jaxa) | Landung im Januar 2024 |
| Peregrine One (private US-Mission/Astrobotic) | Absturz auf die Erde im Januar 2024 |
Was hat sich denn in der Raumfahrt seit „Apollo“ getan? Da ist ja einiges passiert, gerade in den vergangenen Jahren...
Also wenn man Raumfahrt und „Apollo“ in einem Satz verwendet, dann reden wir von bemannter Raumfahrt. Wir haben mittlerweile ein sehr viel besseres Verständnis über die Umgebung. Die Sicherheits- und Zuverlässigkeitsanforderungen sind sehr viel höher geworden. Die „Apollo“-Missionen waren sogenannte One-Shot-Missionen. Das heißt, man fliegt im Rahmen einer Mission hin und zurück.
Mittlerweile ist das „Artemis“-Programm aufgesetzt worden und ein Bestandteil dieses „Artemis“-Programms ist der sogenannte „Gateway“. Das ist so eine Art Internationale Raumstation im Mondorbit, eine Home-Base, die es den Astronauten erlauben soll, auch längere Missionen auf der Mondoberfläche zu machen, mit einem Zwischenstopp im „Gateway“. Das bringt größere Flexibilität, aber auch eine längere Aufenthaltsdauer. Daraus ergeben sich maßgebliche Unterschiede im Vergleich zu den „Apollo”-Missionen.
Der „Nova“-Lander ist ein weiterer Low-Cost-Lander, was nicht bedeuten muss, dass er nicht funktionieren wird.
Wann rechnen Sie mit den nächsten Menschen auf dem Mond und welche Flagge werden die dabei haben? Die Nasa hat ja gerade wieder ihre Pläne zur nächsten Mondlandung ein Stück nach hinten verschoben. Und China hat auch Pläne.
Also es ist natürlich ein bisschen Spekulation. Von der Faktenlage her ist es so, dass die Nasa zurzeit mit 2026 plant und mit dem „Starship“ von SpaceX, das noch seinen ersten vollständig erfolgreichen Flug zu absolvieren hat. Die Chinesen planen, soweit ich weiß, die erste bemannte Mission für 2030. Ich würde mal sagen, es wird ein knappes Rennen.
Esa arbeitet beim „Artemis“-Mondprogramm der Nasa mit
Und wie sieht es mit Europa aus? Welche Mondambitionen hat die Esa? Die Mondmissionen in den vergangenen Jahren kamen ja alle aus anderen Ländern.
Auf der letzten Ministerratskonferenz 2022 haben die Mitgliedsländer der Esa die Entwicklung des sogenannten „Argonaut“-Mondlanders beschlossen. Das ist ein unbemannter Lander, der zwischen anderthalb bis zwei Tonnen Nutzlast zur Mondoberfläche bringen soll. Damit würde er wesentliche Beiträge Europas zum Aufbau einer permanenten Infrastruktur auf dem Mond liefern. Der erste Start des „Argonauten“ ist auf einer „Ariane 6“-Rakete für das Jahr 2031 geplant.
Die Esa ist ja auch in das „Artemis“-Programm der Nasa involviert. Was genau ist da von europäischer Seite aus geplant?
Ein wesentlicher europäischer Beitrag ist die Lieferung aller Service-Module, die elementarer Bestandteil der Raumkapsel „Orion“ sind. Das heißt, es gibt keine bemannte Nasa-Mondmission ohne das Service-Modul der Esa. Und darüber hinaus gibt es noch drei wichtige Beiträge der Esa zum „Gateway“. Das ist das I-Hab, das International Habitation Module. Das kann man sich so ähnlich vorstellen wie die Module, die es auch auf der Internationalen Raumstation ISS gibt.
Außerdem entwickelt die Esa das Esprit-Modul, das ist ein sogenanntes Refueling-Modul. Hauptaufgabe ist die Wiederbetankung des Gateway-Antriebsmoduls, es bietet aber auch Stauraum und hat als einziges Modul integrierte Fenster, die den Astronauten den Blick in All verschaffen. Ein drittes Element, das HALO Lunar Communication System, wird schon beim Start des ersten Gatewaymoduls mit an Bord sein. Es handelt sich hier um ein System, das die direkte Kommunikation zwischen „Gateway“ und Mond erlaubt. Auch der „Argonaut“ ist als ein Element des „Artemis“-Programms geplant und soll als Logistik-Lieferant einen weiteren europäischen Beitrag liefern. (tab)
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