Folgen der Erderwärmung

Hochwasser-Katastrophe in Deutschland: Klimaforscher warnt vor Wetter-„Rekorden“ – und sendet Weckruf

  • Marcus Giebel
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Süddeutschland erlebt einen katastrophalen Start in den Sommer 2024 – mit Hochwasser und Evakuierungen. Ein Vorgeschmack auf die Zukunft durch den Klimawandel?

München – Die letzten Wochen brachten wiederholte Extremwetterlagen. Flüsse und Bäche, die zuvor ruhig dahinplätscherten, verwandelten sich in reißende Ströme, die ganze Ortschaften fluten. In einigen Gemeinden mussten die Bewohner aufgrund des hohen Wasserstandes evakuiert werden. An mehreren Orten in Bayern brachen Dämme unter der enormen Kraft des Hochwassers, Straßen wurden überschwemmt und Fahrzeuge mitgerissen. In Baden-Württemberg kam es zu Todesfällen.

Klimawandel bringt nicht nur Hitze und Dürre – Hochwasser in Deutschland

Die Katastrophe zeigt deutlich, dass der Klimawandel mehr als nur Hitzewellen und Dürreperioden mit sich bringt. Stefan Rahmstorf, Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, betonte in einem Spiegel-Interview: „Starkregen wird durch die Klimaerwärmung häufiger und intensiver.“ Er verwies dabei auf das „Weihnachtshochwasser 2023 in Norddeutschland oder kürzlich im Saarland“.

Straße unter Wasser: Ein Radfahrer ist auf der überfluteten B300 im Landkreis Günzburg unterwegs.

Vor weniger als zwei Wochen spürten neben dem kleinsten Bundesland Deutschlands, dem Saarland, auch Teile von Rheinland-Pfalz die Auswirkungen der globalen Erwärmung.

„Rekorde bei Tagesregenmengen um 30 Prozent gestiegen“ – Hochwasser als Folge des Klimawandels

Doch Deutschland ist nicht das einzige Land, das mit extremen Niederschlägen zu kämpfen hat. „Laut Datenauswertungen unseres Instituts ist die Zahl der Rekorde bei Tagesregenmengen weltweit um etwa 30 Prozent gestiegen im Vergleich 1950 bis 1980“, erklärte Rahmstorf. „Dies bedeutet: Rund einer von vier Rekorden ist schon jetzt auf den vom Menschen verursachten Klimawandel zurückzuführen.“

Dauereinsatz im Regen: Rettungskräfte sind im bayerischen Baar-Ebenhausen mit einem Schlauchboot auf der Ladefläche unterwegs.

Rahmstorf zitierte eine Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich) aus dem Jahr 2020, die zeigt, dass extreme Niederschlagsereignisse pro Grad Erwärmung um sechs bis acht Prozent zugenommen haben. Trotz regionaler Temperaturschwankungen geht das Forscherteam davon aus, dass die Intensität extremer Niederschläge mit der Fortsetzung der globalen Erwärmung zunehmen wird.

Extremwetter wegen Klimawandel: Forscher nennen vier Treiber für Hochwasser

Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) haben in einer Studie im Frühjahr 2024 vier Faktoren identifiziert, die das Hochwasser beeinflussen könnten. Diese sind:

  • Die Lufttemperatur
  • Die Bodenfeuchtigkeit
  • Die Schneehöhe
  • Die tägliche Niederschlagsmenge in den vorangegangenen Tagen

Von den 124.642 untersuchten Hochwasserereignissen zwischen 1981 und 2020 wurden 51,6 Prozent mit mindestens zwei dieser Faktoren in Verbindung gebracht. In 55,1 Prozent der 3527 untersuchten Einzugsgebiete war mehr als jedes zweite Hochwasser auf mehrere dieser Treiber zurückzuführen.

Bilder vom Hochwasser in Deutschland: Zahlreiche Orte unter Wasser – es gibt Tote und Vermisste

Pfaffenhofen in Oberbayern ist dramatisch vom Hochwasser betroffen. Die Einsatzkräfte haben einen schweren Verlust zu verkraften. An der Ilm war am Wochenende ein Feuerwehrmann bei einer Rettungsaktion ums Leben gekommen. Doch die Gefahr verlagert sich auch nach Passau und Regensburg.
Pfaffenhofen in Oberbayern ist dramatisch vom Hochwasser betroffen. Die Einsatzkräfte haben einen schweren Verlust zu verkraften. An der Ilm war am Wochenende ein Feuerwehrmann bei einer Rettungsaktion ums Leben gekommen. Eine Frau starb in ihrem gefluteten Keller in Schrobenhausen. Ein Feuerwehrmann wird bei Günzburg vermisst. Doch die Gefahr verlagert sich auch nach Passau und Regensburg. Die Bilder vom Wochenende und vom Montag. © Jason Tschepljakow/dpa
Eine Uferstraße ist vom Hochwasser überschwemmt. Die Drei-Flüsse-Stadt Passau in Niederbayern hat aufgrund des Starkregens ebenfalls mit erheblichem Hochwasser zu kämpfen. Der Pegelstand der Donau stieg am Sonntag auf mehr als 7,70 Meter, wie der Hochwassernachrichtendienst mitteilte. Zahlreiche Straßen und Plätze in Stadtgebiet stehen unter Wasser.
Eine Uferstraße ist vom Hochwasser überschwemmt. Die Drei-Flüsse-Stadt Passau in Niederbayern hat aufgrund des Starkregens ebenfalls mit erheblichem Hochwasser zu kämpfen. Der Pegelstand der Donau stieg am Sonntag auf mehr als 7,70 Meter, wie der Hochwassernachrichtendienst mitteilte. Zahlreiche Straßen und Plätze in Stadtgebiet stehen unter Wasser.  © Markus Zechbauer/Zema Medien/dpa
nden einen Stand von 5,80 Meter erreicht, wie die Stadt mitteilte. Die historische Wurstkuchl wird mit einer Schutzwand vor dem Hochwasser der Donau geschützt.
Das Wasser der Donau steigt und steigt, nun hat auch Regensburg den Katastrophenfall ausgerufen. Die Wasserhöhe am Messpunkt Eiserne Brücke habe in den Morgenstunden einen Stand von 5,80 Meter erreicht, wie die Stadt mitteilte. Die historische Wurstkuchl wird mit einer Schutzwand vor dem Hochwasser der Donau geschützt.  © Armin Weigel/dpa
Auch Menschen in Baden-Württemberg sind weiter in großer Gefahr. Hier ein Blick auf Täferrot, wo der Fluss Lein über die Ufer getreten war und Überschwemmungen verursacht hatte.
Auch Menschen in Baden-Württemberg sind weiter in großer Gefahr. Hier ein Blick auf Täferrot, wo der Fluss Lein über die Ufer getreten war und Überschwemmungen verursacht hatte. © Jason Tschepljakow/dpa
Autos fahren durch eine von Hochwasser betroffene Kreisstraße zwischen Beuren und Illerrieden
Besonders im Süden hat das befürchtete Unwetter voll zugeschlagen. In Baden-Württemberg regnete es seit den Samstag-Morgenstunden (1. Juni) heftig. Straßen wurden geflutet, wie hier zwischen Beuren und Illerrieden. © Marius Bulling/Imago
Hochwasser in Babenhausen (Bayern).
Im Laufe des Samstagvormittags (1. Juni) wurden in fünf bayerischen Landkreisen der Katastrophenfall ausgerufen. Mehrere Menschen mussten mit dem Boot gerettet werden, so wie hier in Babenhausen. © Stefan Puchner/dpa
Feuerwehrleute arbeiten überfluteten Straße in Ichenhausen, nachdem die Günz übergetreten war.
Im Landkreis Günzburg (Bayern) ist die befürchtete Jahrhundertflut eingetreten. Feuerwehrleute arbeiten an überfluteten Straßen in Ichenhausen, nachdem die Günz übergetreten war. (Foto-Collage) © dpa/Foto-Collage
Rettungskräfte fahren die Hochwasserlage in Bayern (Fischbach) mit einem Jetski ab.
In den angrenzenden Landkreisen Günzburg und Augsburg wurde im Laufe des Samstagvormittags der Katastrophenfall ausgerufen, nachdem die Pegelstände stark angestiegen waren. Im Ort Fischbach (Landkreis Augsburg) verschaffen sich Einsatzkräfte mit Jetskis einen Überblick über die Lage. © dpa
Hochwasser nach Extremwetter in Haselbach (Bayern).
Doch auch andere Teile Bayerns sind stark betroffen. In der Gemeinde Haselbach östlich von Regensburg hat der Dauerregen einen Spielplatz komplett unter Wasser gesetzt. © Stefan Puchner/dpa
Hochwasser nach heftigen Unwetter zwang den Rettungshelikopter auszurücken in Bayern.
Der Rettungshelikopter musste ebenfalls ausrücken. Personen mussten aus ihrem Haus auf dem Luftweg befreit werden, da sie sonst nicht mehr herausgekommen wären. © Stefan Puchner/dpa
Feuerwehrleute kämpfen gegen das Hochwasser in Ochsenbach, Baden-Württemberg.
Auch in Baden-Württemberg haben zahlreiche Einsatzkräfte mit dem Unwetter zu kämpfen. In Ochsenbach nordwestlich von Memmingen stapeln Feuerwehrleute Sandsäcke und pumpen Wasser ab. Die schlimmste Unwetter-Zelle hielt sich am Samstag (1. Juni) zwischen München und Stuttgart. © Thomas Warnack/dpa
Hochwasser auch auf den Straßen in Ochsenbach, Baden-Württemberg.
Dennoch waren im Ort zahlreiche Straßen geflutet. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) riet von Aufenthalten im Freien ab. © Thomas Warnack/dpa
Unwetter-Lage in Baden-Württemberg.
Hier findet sicher so schnell kein Fußballspiel statt. Eigentlich sollte der SV Daugendorf im Ortsteil der Stadt Riedlingen (Baden-Württemberg) am Samstag (1. Juni) das letzte Spiel der Runde ausrichten. Nach den Unwettern steht der Platz unter Wasser.  © Thomas Warnack/dpa
In Sachsen haben Einsatzkräfte schon am Freitagabend (31. Mai) Vorkehrungen getroffen.
Seit Tagen herrscht in Deutschland die Sorge vor heftigen Unwettern und einer Jahrhundertflut. In vielen Regionen, wie hier in Sachsen, haben Einsatzkräfte schon am Freitagabend (31. Mai) Vorkehrungen getroffen.  © Katrin Mädler/dpa
In Bad Wörishofen im Unterallgäu, staut sich das Hochwasser nach andauernden Regenfällen an.
Im Unterallgäu hatte sich schon am späten Freitagabend (31. Mai) an einigen Stellen Wasser angesammelt. Die Behörden bereiteten am Samstagvormittag eine Evakuierung vor und rieten den Bewohnern freiwillig ihre Häuser zu verlassen. Vor allem in Hanggebieten sind Erdrutsche möglich, warnt der DWD. © Bernd Feil /Imago
Überflutete Straße in Lindau am Bodensee.
In Lindau am Bodensee verschluckte Hochwasser auf gefluteten Straßen in der Nacht zum Samstag einen Van. © Bernd März/dpa

Experte zu Extremwetter: „Zunahme an Dürreereignissen und Extremniederschlägen“

Rahmstorf warnt jedoch davor, das andere Extrem zu vernachlässigen: „Wir müssen uns gleichzeitig auf eine Zunahme der Dürreereignisse und der Extremniederschläge einstellen, in Deutschland und anderen Regionen der Welt.“

Obwohl die Tage mit leichtem Niederschlag wahrscheinlich abnehmen werden, wird es „zunehmend in großen Mengen“ regnen. Dies könnte auch Auswirkungen auf die Lebensmittelproduktion haben. Landwirte hatten in der Vergangenheit immer häufiger Ernteausfälle zu beklagen – sei es aufgrund von Dürre oder extremen Niederschlägen.

Wasser, wohin das Auge reicht: Ein Auto kämpft sich an einer Kreuzung durch eine überflutete Straße.

Aber letztendlich sind viele weitere Bevölkerungsgruppen direkt betroffen. Rahmstorf stellt fest, dass „vielerorts die Infrastruktur nicht auf solche Wassermengen ausgerichtet: Kanalisationen laufen über, Straßen werden überflutet, Dämme brechen.“ Er ist sich sicher: „Selbstverständlich müssen wir uns anpassen.“

Maßnahmen gegen Erderwärmung nötig: „Das kostet Geld und der Elan erlahmt oft rasch“

Der Experte ist sich jedoch bewusst, dass dies Widerstände hervorrufen wird: „Das kostet viel Geld, der Elan erlahmt oft rasch. Und wir stehen zurzeit bei knapp eineinhalb Grad Erwärmung.“ Die Tendenz ist steigend. Der Klima-Expertenrat erklärte kürzlich, dass Deutschland seine Klimaziele für das Jahr 2030 nach aktuellem Stand nicht erreichen wird.

Aber die aktuellen Extremereignisse sind noch nicht das Ende. „Machen wir uns keine Illusionen: An drei Grad Erhitzung werden wir uns kaum anpassen können. Denn drei Grad würden nicht doppelt so schlimm, sondern viel schlimmer“, warnt Rahmstorf.

Nach heftigem Regen-Wochenende in Bayern: Fotos zeigen dramatische Hochwasser-Lage

Hochwasser in Bayern - Offingen
Eine Ölteppich ist auf einem vom Hochwasser der Mindel überschwemmten Grundstück zu sehen. Das Foto wurde mit einer Drohne gemacht. Seit Tagen kämpfen die Helfer in Bayern und Baden-Württemberg gegen die Flut und ihre Folgen. Die Hochwasserlage ist weiter dynamisch und unübersichtlich. © Karl-Josef Hildenbrand/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Hochwasser in Bayern - Offingen
Offingen in Schwaben wurde vom Hochwasser schwer getroffen. Dort wird ein 22-jähriger Feuerwehrmann vermisst. Er befand sich mit Kollegen auf einem Boot, als dieses wegen starker Strömung kenterte. © Karl-Josef Hildenbrand/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Hochwasser in Bayern - Reichertshofen
Reichertshofen in Oberbayern wurde ebenfalls von den Wassermassen geflutet. Ministerpräsident Markus Söder, Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Kanzler Olaf Scholz machten sich am Montag, 3. Juni, vor Ort ein Bild der Lage. © Sven Hoppe/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Hochwasser in Bayern - Reichertshofen
Ein Foto vom Sonntag zeigt die dramatische Hochwasserlage in Reichertshofen. © Sven Hoppe/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Hochwasser in Bayern - Schrobenhausen
Schrobenhausen in Oberbayern hat es ebenfalls schlimm erwischt. Eine 43-Jährige starb in ihrem überfluteten Keller. Sie war das zweite Todesopfer, in Pfaffenhofen war zuvor bereits ein Feuerwehrmann bei einem Rettungseinsatz gestorben. © Marc Gruber/tv7news/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Hochwasser in Bayern - München
Auch die Isar hatte einen hohen Wasserstand, wie ein Foto auf Höhe der Tierparkbrücke in München zeigt. Nach zwei Tagen mit starken Regenfällen bessert sich die Lage in der bayerischen Landeshauptstadt, während es in anderen Landesteilen weiterhin Überschwemmungen gibt. © Felix Hörhager/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Hochwasser in Bayern - Straubing
Vor dem Herzogsschloss in Straubing führt die Donau Hochwasser. Das Foto wurde am Montag, 3. Juni, aufgenommen. © Ute Wessels/dpa +++ dpa-Bildfunk
Hochwasser in Bayern - Passau
Die Drei-Flüsse-Stadt Passau in Niederbayern hat aufgrund des Starkregens ebenfalls mit erheblichem Hochwasser zu kämpfen. Der Pegelstand der Donau stieg am Sonntag auf mehr als 7,70 Meter, wie der Hochwassernachrichtendienst mitteilte. Zahlreiche Straßen und Plätze in Stadtgebiet standen am Sonntag unter Wasser. © Markus Zechbauer/Zema Medien/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Darüber hinaus könnte es dann unmöglich sein, den Schalter wieder umzulegen: „Außerdem würden bei einer derart starken Erwärmung Kipppunkte ausgelöst, die das weltweite Klimasystem grundlegend verändern könnten.“

Klimaforscher fordert Umdenken: „Fossile Energienutzung wird subventioniert, Klimaziele ignoriert“

Rahmstorf äußerte sich auch bei Focus und kritisierte die Politik für Maßnahmen, die den Kampf gegen den Klimawandel untergraben: „Solange fossile Energienutzung noch subventioniert wird, selbst gesetzte Klimaziele zum Beispiel im Verkehrssektor ignoriert werden und auch sofort wirksame Gratismaßnahmen wie ein allgemeines Tempolimit nicht genutzt werden, kann von ernsthaften Anstrengungen in Richtung 1,5 Grad nicht die Rede sein.“

Dies ist ein dringender Weckruf – und nicht der Erste. Aber die vorherigen scheinen weitgehend ungehört geblieben zu sein. Insbesondere, da sich das Wetter nach Extremereignissen immer wieder normalisiert. Eine Atempause sozusagen, jedoch kein Grund zur Entspannung. (mg)

Rubriklistenbild: © IMAGO / Bernd März